Antonín Dvořák wurde am 8. September 1841 in Böhmen geboren und hatte schon mit großem Erfolg zahlreiche Symphonien zu Papier gebracht, als er die »neue Welt« eroberte. »Dvořák möge helfen, die neue Welt der Musik dem Kontinent hinzuzufügen, den Columbus fand.« So hieß man den böhmischen Komponisten in den USA willkommen. Das klingt nach großer Bürde. Doch Dvořák selbst war sich des Auftrages wohl bewusst: »Vor allem soll ich den Amerikanern den Weg ins gelobte Land und in das Reich der neuen, selbstständigen Kunst weisen, kurz, eine nationale Musik schaffen!«
Es dauerte jedoch eine gewisse Zeit, bis er den Erwartungen wirklich nachkam. Er gestattete sich eine Eingewöhnungszeit und begann die Arbeit an der 9. Symphonie, die am 16. Dezember 1893 in New York uraufgeführt wurde, mit Verspätung. Er hatte Erfolg. Auftrag erfüllt! Seine Neunte galt vielen als eine Art Gründungsdokument der amerikanischen Musik – welches bezeichnenderweise ein Europäer schrieb. Allerdings führte der Titel »Aus der neuen Welt«, auf den Dvořák selbst bei allen Drucklegungen bestand, zum Missverständnis: »Ich habe keine dieser [indianischen] Melodien direkt verwendet. Ich habe einfach eigene Melodien erfunden, in die ich die Eigenheiten der Indianermusik eingearbeitet habe. Diese Themen habe ich dann mit allen Mitteln moderner Rhythmik, Harmonik, Kontrapunkt und Orchesterfarben verarbeitet.«
Schauen wir uns an, wie er das macht. Der erste Satz der Symphonie beginnt mit einer melancholisch langsamen Einleitung. Wir hören ein Thema über Fünftonskalen, das sich durch einen sogenannten »Scotchsnap«-Rhythmus (kurz – lang) auszeichnet. Einen deutlichen Kontrast dazu bildet das exotische Moll-Seitenthema. Es folgt eine zusätzliche, eher fröhliche Melodie der Flöten in tiefer Lage. Wenn Sie sich an den Spiritual »Swing low, sweet chariot« erinnert fühlen, haben Sie Dvořáks Intention erkannt.
Seine Neunte ist bekanntlich seit der Uraufführung ein echter Hit der klassischen Musik. Das liegt vor allem zweiten Satz »Largo«. Angeblich soll Dvořáks das Versepos »Das Lied von Hiawatha« über das Leben eines Indianers im 16. Jahrhundert als Sujet vorgeschwebt haben: In den ersten Takten spielen die Blechbläser chromatische, choralartige Akkorde. Es folgt das Thema, gespielt vom Englisch Horn, sehr elegisch und angenehm in Des-Dur. Während der zweite Satz langsam ist, kommt der dritte recht flott daher – was durchaus der klassischen Einteilung entspricht: Dvořák positioniert an die dritte Stelle ein »Scherzo« (»Molto vivace«), das wie schon bei Beethoven und anderen eine A-B-A-Form ausweist und zum Tanzen einlädt. Auf das wild-entschlossene, von Triangel und Pauke begleitete Hauptthema folgt ein Gedanke, der an tschechische Musik erinnert. Auch das E-Dur-Trio – der B-Teil in diesem Scherzo – ist böhmischen Ursprungs.
Und dann folgt das große Finale, der vierte Satz: Die Streicher spielen eine kurze, aber deutliche Einleitung, die Trompeten und Hörner folgen mit einem lebendigen Hauptthema. Auch hier ist wieder Pentatonik zu hören, also das aus nur fünf Tönen bestehende System, bei dem wir uns immer an archaische, volkstümliche oder fernöstliche Klänge erinnert fühlen. (Dvořák verweist damit auf die Musik der amerikanischen Ureinwohner.) Es ist schon bemerkenswert, wie viele melodische Einfälle Dvořák in diesen insgesamt knapp 50 Minuten verarbeitet. Ob böhmisch, westeuropäisch oder afroamerikanisch – vieles klingt an und verbrüdert sich zu einem großen Musik-Gesamtbild. Es entsteht eine Art »melting pot«, eine Feier des »anything goes«.
05.01.2020 - Fensterachse: Haspa-Neujahrskonzert
Sylvain Cambreling Dirigent
Andrei Ioniţă Violoncello
Werke von Berlioz, Tschaikowsky und Dvořák
20.11.2022 - Erwartungshaltung
Charles Dutoit, Nelson Goerner – Werke von Strawinsky, Ravel und Dvořák
05.11.2023 - 1. Kinderkonzert
Singa Gätgens, Jason Weaver – Dvořáks Symphonie Nr. 9 und vieles mehr
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