Nach dieser zweieinhalb Jahrhunderte alten und doch so direkt ansprechenden Leidenschafts-Symphonie schließt das Konzert mit dem wohl bekanntesten Werk des französischen Komponisten Gabriel Fauré, mit seinem Requiem op. 48 vom Anfang der 1890er-Jahre. Auf den ersten Blick fällt die im Vergleich mit Strawinskys Messe deutlich stärkere Besetzung auf: Sängersolisten, Chor, großes Orchester, Orgel ... Allerdings wählt auch Fauré einen Weg der freiwilligen Selbstbeschränkung, um der Kontemplation mehr Raum zu geben. So sind beispielsweise die Posaunen lediglich in einem der sieben Sätze zu hören, im »Libera Me«. Das Ergebnis unterscheidet sich also durchaus von den Requien, die Berlioz oder Verdi zuvor zu Papier brachten; es türmt keine gewaltigen Klangmassen auf, sondern besticht durch die zum Teil gar zarten, intimen Passagen – etwa vom Sopran in »Pie Jesu«. Und das Jüngste Gericht mit dem »Dies irae« (Tag des Zorns) kommt gar nicht erst vor.
Ob Fauré mit seinem Requiem tatsächlich seinen verstorbenen Eltern gedachte, bleibt wohl Spekulation. Allerdings fällt auf, dass er es betont versöhnlich formte und dem Hörer weitaus mehr Trost zukommen ließ als andere Werke mit demselben Titel. Das ist in allen Sätzen spürbar, aber am Schluss besonders: Denn hier erlaubt sich Fauré die Freiheit, von der Liturgie abzuweichen und mit »In paradisum« einen neuen Abschnitt anzufügen, der mit den warmen Worten »Zum Paradies mögen Engel dich geleiten ...« anhebt. Chorstimmen im schwebenden Piano, Harfe, gedämpfte Streicher und hohe Orgelregister sorgen für eine musikalische Verklärung, die beinahe von Gustav Mahler stammen könnte. Hier hat der Tod keinen Stachel mehr.
Das Requiem »[...] ist von sanftmütigem Charakter, so wie ich selbst«, meinte Fauré. »Ich habe instinktiv versucht, dem zu entfliehen, was man allgemein für richtig und angebracht hielt. Nach all den Jahren, in denen ich Begräbnisgottesdienste auf der Orgel begleitet habe, kenne ich alles auswendig! Ich wollte etwas anderes schreiben.«
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