Symphonische Dichtung op. 55 – »Nächtlicher Ritt und Sonnenaufgang«

Entstehungszeit: 1907

Uraufführung: 31. Januar 1909 in St. Petersburg unter Alexander Siloti

Dauer: ca. 15 Minuten

Keinem skandinavischen Komponisten sind Klischee-Zuschreibungen mehr zum Verhängnis geworden als dem Finnen Jean Sibelius. Erstens schuf er mit der »Finlandia« die inoffizielle Hymne seines Heimatlandes. Zweitens ging er im Laufe des 20. Jahrhunderts seine eigenen, nicht immer modernen Wege. Und drittens zog er sich schon bald in sein einsames Landhaus zurück. Fortan war er also der »grüblerische Finne«. Sibelius litt sehr darunter, dass er als dieser zwar in England und den USA gefeiert, in Deutschland zunächst aber als »kitschig« abgetan wurde. Er trank – und wurde noch einsamer.

Einen wilden Ritt durch die Nacht und in den erlösenden Sonnenaufgang beschwört seine Symphonische Dichtung herauf. Nach einer herben Einleitung stellen die Streicher das zentrale Thema vor: Einen Reit-Rhythmus, der die minimal music aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vorwegnimmt. Und auch die Holzbläser, die sich wellenförmig einmischen, agieren eher statisch. Doch auf den ersten folgt ein zweiter, gegensätzlicher Abschnitt: Nahezu wie eine spirituelle Erlösung geht die Sonne mit einem sanften Thema auf.
Verschiedene Legenden – die dem beschriebenen Sibelius-Klischee nicht viel entgegensetzen – versuchen, die Entstehungsgeschichte biografisch zu deuten: Erzählt uns Sibelius von einem Nacht-Ritt durch einen verschneiten Wald zwischen den finnischen Orten Soanlahti und Värtsilä? Oder von einer Reise in einer Pferdekutsche von Kerava nach Helsinki? Oder gehen die Ursprünge dieser Komposition gar auf einen Rom-Aufenthalt zurück, bei dem er das Kolosseum im Mondschein sah? Wie auch immer. Sibelius gelingt eine beeindruckende Neuauflage en miniature des Beethovenschen »per aspera ad astra« (frei übersetzt: von der Dunkelheit ins Licht).
Jean Sibelius
Jean Sibelius

Historie

24.06.2018 - Unauslöschliches Leben

Andris Poga Dirigent

Werke von Sibelius, Grieg und Nielsen