Stabat Mater für Soli, Chor und Orchester op. 53

Entstehung: 1925-1926

Uraufführung: 1926 in Warschau

Text: Das lateinische »Stabat Mater«, ins Polnische übersetzt von Jozef Janowski

Spieldauer: ca. 30 Minuten

»Stabat Mater« müsste eigentlich heißen »Stabat Mater dolorosa«. Ins Deutsche übersetzt also etwa: »Es stand die Mutter voller Schmerzen.« Oder wie Christoph Martin Wieland textet: »Schaut die Mutter voller Schmerzen.« Denn erstens umfasst die komplette erste Zeile eines Gedichts aus dem 13. Jahrhundert alle drei Worte. Und zweitens liegt die Betonung auf den Schmerzen (»dolorosa«). Gemeint ist die Mutter Maria, die um den gekreuzigten Jesus weint. Aus wessen Feder das Gedicht stammt, ist nicht mehr genau zu ermitteln. Es gehörte aber – mit Unterbrechungen – stets zur katholischen Liturgie und wird traditionell am 15. September gebetet. Die Übertragung von Jozef Janowski ins Polnische macht aus dem tief ergreifenden Text eine simplere, volksnähere, aber dennoch nicht weniger aussagekräftige Version.

Offenbar war es vor allem dieser Text, der den polnischen Komponisten Karol Szymanowski zu seiner Musik inspirierte. Einst hatte die New Yorker Gönnerin Winnaretta Singer Szymanowski um »eine Art polnisches Requiem« gebeten, doch das Projekt verlief im Sande. Als ein Industrieller aus Warschau den Komponisten später mit einer ähnlichen Idee beauftragte, führte ein persönliches Erlebnis zur Wahl des Sujets: Im Januar 1925 starb Szymanowskis Nichte. In seinem 1926 uraufge- führten Opus 53 verarbeitet der Komponist deshalb gleich in zweifacher Hinsicht die Trauer einer Mutter um ihr Kind.

Die Arbeit fiel in eine Schaffensphase, in der sich Szymanowski verstärkt der Musik seiner Heimat zuwandte – insofern passt der Text ideal zu seinem Ziel, seiner Muttersprache genauso ein Denkmal zu setzen wie der tradierten (Volks-)Musik Polens. Immer war er viel durch (West-)Europa und somit durch die Musikgeschichte gereist – sogar nach Nordafrika verschlug es ihn einmal. Einige Jahre lebte er in Italien und Wien und kehrte erst 1919 nach Polen zurück. (Erst in den Jahren vor seinem frühen Lebensende reiste er dann wieder nach Frankreich und in die Schweiz, um seine Tuberkulose zu kurieren.) Doch nun wollte er sich an der Musikakademie Warschau um den Nachwuchs kümmern – sowie ähnlich wie Béla Bartók durch die Lande und über das Tatra-Gebirge streifen und in einem Notizbuch dem Volk Abgehörtes notieren.

Letzteres blieb nicht ohne Einfluss auf das Werk: Auffällig sind im »Stabat Mater« Rückbezüge auf sehr alte Musiktraditionen etwa des italienischen Renaissance-Komponisten Palestrina oder der polnischen Kirchenmusik. Die eher schlicht gehaltene Partitur besticht durch einfache, der Volksmusik ähnliche Melodielinien ohne große Intervalle, durch unaufgeregte Rhythmen (lediglich der fünfte Abschnitt ist mit »Allegro« über- schrieben), durch parallel geführte Gesangsstimmen sowie durch die kluge Verwendung von den stets besinnlich stimmenden Kirchentonarten. (Gebürtige Polen werden außerdem Hymnen ihres Heimatlandes wiedererkennen.)

Zwar hat Szymanowski, der auch beispielweise zwei Opern und vier Symphonien im zum Teil höchst spätromantischen Stil hinterließ, die musikalische Moderne nicht gänzlich vom »Stabat Mater« ferngehalten. Die geschilderten kompositorischen Mittel sind aber deshalb bemerkenswert, weil er bis dato mit vielen verschiedenen Stilen experimentiert, eine Art »polnischen Impressionismus« entwickelt und um die Jahrhundertwende zur Komponistengruppe »Junges Polen« gehört hatte. Einflüsse von Strawinsky und Ravel waren stets deutlich, oder auch von Skrjabin und Bartók. Nicht immer nahm Szymanowski es so genau mit den Grenzen der Tonalität; zwischenzeitlich war er in Polen gar nicht gern gehört, während Musikliebhaber im europäischen Ausland und in den USA längst auf den jungen Mann aufmerksam geworden waren. Insofern ist das »Stabat Mater« auch eine Art in Ton gegossene Versöhnung mit seinen Landsleuten.

Karol Szymanowski
Karol Szymanowski

Historie

17.02.2019 - Liturgische Monumente

Sylvain Cambreling Dirigent

Paulina Boreczko-Wilczyńska, Joanna Bortel, Patrick Grahl, Daniel Jenz, Jarosław Bręk, EUROPA CHOR AKADEMIE GÖRLITZ

Werke von Szymanowski und Schubert