Vorspiel zu »Tristan und Isolde«

Der Tristan-Akkord, den wir schon im zweiten Takt des Vorspiels zu Richard Wagners 1865 uraufgeführter Oper »Tristan und Isolde« in den Celli und den Holzbläsern hören – dieser Akkord aus wenigen Tönen in mittlerer Lage, der sich je nach Analyse-Werkzeug als eigenständig oder nicht, jedenfalls nur mit vielen, eher unzulässigen Verrenkungen als einem tonalen System zugehörig definieren lässt – dieser Akkord hat, um es kurz zu sagen, die Musik verändert wie keiner zuvor und keiner danach. Er ist das Wendescharnier, die Revolution.

Aber ist etwas anderes – das mit dem Tristan-Akkord eng zusammenhängt und doch darüber hinausgeht – nicht noch bedeutender? Nämlich Wagners »unendliche Melodie«? Während wir aus den allermeisten Symphonien, Konzerten und auch Opern gewohnt sind, einen Anfang und ein Ende zu hören, führt uns Wagner aufs Glatteis. Es geht weiter. Immer weiter. Die Kadenzen finden kein Ende. Der Tristan-Akkord, aber auch viele andere, halten bei Wagner keine Ruhepause parat. Tristan und Isolde sehnen sich, quälen sich, lieben sich ohne Befriedigung, zumindest nicht vor dem Tod. Und wir wissen schon in diesem unfassbaren Vorspiel – das, so meinen noch heute nicht wenige, nur im Beisein eines Arztes genossen werden sollte – nicht mehr, ob wir uns vor oder hinter der Fensterscheibe befinden.

Richard Wagner
Richard Wagner

Historie

26.01.2020 - Wendefenster: Wagner, Bartók, Schostakowitsch

Andris Poga Dirigent

Elena Bashkirova Klavier