Symphonie Nr. 5 B-Dur op. 100

Entstehung 1944

Uraufführung 13. Januar 1945 in Moskau unter Leitung des Komponisten

Spieldauer ca. 42 Minuten

Als Sergei Prokofjew gegen Ende des Zweiten Weltkrieges seine fünfte Symphonie zu Papier brachte, befand er sich in einer vergleichsweise unproblematischen Lebensphase. Nach erfolgreichen Jugendjahren hatte der ähnlich wie Beethoven brillante Pianist versucht, sich der Heimat zu entziehen und war nach einem kurzen USA-Aufenthalt 1923 nach Frankreich gegangen. Doch der Erfolg war dort ausgeblieben, Prokofjew hatte seine Landsleute vermisst und dann den jubelnden Empfang genossen, als er einige Jahre später zurückgekehrt war. Außerdem waren die politisch schwersten Jahre noch fern: Dem Stalin-Urteil, das 1948 über Schostakowitschs Musik gesprochen wurde, entging auch Prokofjew nicht. Seine Musik, die er selbst als von vier Grundlinien (klassisch, modern, motorisch, lyrisch) beeinflusst sah, war von Stund an offiziell »formalistisch und volksfeindlich«.

Der Charakter der 1944 entstandenen Fünften, die neben Prokofjews »Symphonie classique« zu den bekanntesten und beliebtesten Werken des Russen zählt, ist mit seiner üppigen Orchestrierung, die neben einem vielseitigen Schlagwerk auch beispielsweise einen Flügel vorsieht, also vor allem national-heroisch. Komponist und Heimatland schwingen beinahe im Einklang. Von den Landsleuten hochgelobt wurde er unter anderem für die »russische« Melodik, also für die Integration mancher als urnational angesehener Lied-Elemente.

Im Sommer 1944 hatte sich Prokofjew auf ein Landgut in der Nähe von Iwanowo zurückgezogen; der Komponistenverband hatte ihm diese Ruhe und Auszeit ermöglicht. Hier arbeitete er also an dem betont großartig angelegten, viersätzigen Werk, das mit seiner Klangfülle wohl sein gesamtes sonstiges Œuvre übertrumpfen sollte. Dass Alexander Borodin mit seiner üppigen epischen Symphonik ein Vorbild war, lässt sich kaum leugnen, doch Prokofjews eigens betitelte »Neue Einfachheit« ist Zeugnis einer vollendeten Reife des Komponisten selbst. Von einer plastischen (Kriegs-)Bildersprache zwischen Pathos und Groteske ist diese fünfte Symphonie gekennzeichnet, die er selbst dem »Triumph des menschlichen Geistes« widmete. Der Pianist Swjatoslaw Richter urteilte nach der Uraufführung: »Prokofjew sieht von der Höhe auf sein Leben herab und auf alles, was war. Etwas Olympisches liegt darin.«

Der erste Satz, ein Andante, das man traditionell eher an zweiter Stelle erwarten würde, ist breit angelegt und vom Blech-Sound geprägt. Darauf folgt ein verspieltes Allegro moderato, das die Kavallerie gewissermaßen an die Front begleitet. An dritter Stelle dann wieder ein Adagio, das dunkel-melancholisch romantische und spätromantische Elemente aufnimmt. Und schließt sorgt das Allegro giocoso für einen tänzerischen Schlusspunkt.

Eine Frage drängt sich auf: Wie viel eigener Patriotismus steckt wirklich in der Fünften? Auffällig ist nämlich, dass Prokofjew seine sechste Symphonie, die zwei Jahre nach Kriegsende uraufgeführt wurde, deutlich tragischer gestaltete. Ähnlich wie bei Schostakowitsch scheint es sich dabei um eine Rücknahme – oder vielmehr: um eine Richtigstellung des National-Heroischen gehandelt zu haben. Und wird das mitunter militärische Gutue nicht auch schon in der Fünften konterkariert, indem Prokofjew es immer mal wieder zur Groteske verzerrt?

Wie auch immer: Es ist wohl das Schicksal dieser von verschiedenen Seiten politisierten Art von Musik aus der Mitte des 20. Jahrhunderts, dass Aussagen »hineingedeutet« werden, die möglicherweise niemals intendiert waren. Prokofjews Fünfte stattdessen eben gerade nicht als nationalrussische »Kriegssymphonie« zu verstehen (und damit der simplen Schlagwort-Konnotation zu entgehen), wäre vielleicht am gewinnbringendsten. Denn diese Symphonie ist, so zeigen es die vier höchst differenziert ausgearbeiteten Sätze, viel mehr als eine Art Filmmusik zu ästhetisierten Kriegsbildern.

Sergei Prokofjew
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