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Alexander Meier-Dörzenbach

»Doch Himmelsbogen.« – Irisierende Farbwellen und weiße Stille

Bis Anfang letzten Jahres bezeichnete der Begriff »Korona« vornehmlich den meist weiß, manchmal auch farbig leuchtenden Hof um den Mond, der durch Beugung des Lichts an den Wassertröpfchen von Wolken entsteht. Lesen wir dieses optische Phänomen sprachbildlich, können wir den Mond so als durch Genie leuchtendes Werk sehen, die Wolken als menschlichen Alltag und die ephemere Aureole als lebendige Kunsterfahrung. In der letzten Saison wurden wir vom Corona-Virus dieser metaphorischen Korona beraubt. Anders als bei der Korona des Mondes wird bei einem Regenbogen das Licht an den Wassertropfen nicht gebeugt, sondern gebrochen, und es strahlt daher funkelnd vielfarbig. Eine der ersten Reaktionen auf die Corona-Einschränkungen waren daher von Kindern gemalte und in Fenstern aufgehängte Regenbögen, die als Symbol der Hoffnung zum Spaziergang motivieren und anderen sehnsüchtigen Menschen sichtbare Zeichen geben sollten. Der Regenbogen soll uns – im Hintergrund – nun farbig und literarisch durch die Saison begleiten als Zeichen von etwas, das zu schön ist, um allein von dieser Welt zu sein: »Doch Himmelsbogen.«

Dieses Saisonmotto »Doch Himmelsbogen.« besteht aus drei Teilen: der Konjunktion »Doch«, dem zusammengesetzten Substantiv »Himmelsbogen« sowie dem finalen Satzzeichen ».« – und ist trotz seiner Kürze eine komplette Zeile des Goethe-Gedichts »Phänomen«. Musikalisch haben es unter anderem Johannes Brahms, Hugo Wolf und Wolfgang Rihm vertont, doch wollen wir von der Erde aus die kulturhistorisch bunte Wortbrücke schlagen, bevor wir dem Bogen gen Himmel voller Geigen folgen, den beispielsweise Gustav Mahler in bildlicher Umschreibung seiner vierten Symphonie mit »Milliarden Tropfen eines Regenbogens« klanglich koloriert hat.

 

Phänomen

Wenn zu der Regenwand
Phöbus sich gattet,
Gleich steht ein Bogenrand
Farbig beschattet.

Im Nebel gleichen Kreis
Seh ich gezogen,
Zwar ist der Bogen weiß,
Doch Himmelsbogen.

So sollst du, muntrer Greis,
Dich nicht betrüben,
Sind gleich die Haare weiß,
Doch wirst du lieben.

Johann Wolfgang von Goethe


1. »Doch«

Der dem Goethe-Gedicht entnommene poetisch-suggestive Leitimpuls soll eingangs näher betrachtet werden. Die erste Strophe des kurzen Gedichts beschreibt aus allgemeiner Perspektive, dass ein farbiger Regenbogen durch das Zusammentreffen von Regen und Sonne entsteht. In der zweiten Strophe vermittelt nun das lyrische Ich ein besonderes Naturphänomen: den weißen Regenbogen, der durch das Zusammentreffen von feinem Nebel und Sonne entsteht. In der dritten Strophe adressiert der Sprecher sich selbst und deutet das Bild: Die irisierende Liebe ist nicht auf die stürmische Jugend beschränkt; auch als weißhaariger Greis kann man noch lieben. Die nonchalante Formulierung »So sollst du, muntrer Greis, / Dich nicht betrüben« ist dabei von besonderer Dichte, da sich das Verb »betrüben« nicht nur auf »Sorgen machen« bezieht, sondern sich auch assoziativ auf die verblassende, hell eingetrübte Farbigkeit des weißen Regenbogens – doch Himmelsbogen – dehnt.

Ein kurzlebiges Natur-Schauspiel, das durch seine plötzlich erstrahlende Schönheit dauerhafte Spuren in der Kunst hinterlassen hat.

Regenbögen entstehen, wenn Sonnenstrahlen durch Regentropfen dringen und so das optisch bunte Phänomen durch Brechung und Reflexion von Licht erzeugen. Regenbögen können wir nur sehen, wenn wir zur richtigen Zeit am richtigen Ort stehen – die Sonne im Rücken und vor uns die dunkle Regenwolke –, denn sie existieren nur relativ zur betrachtenden Person. Gemeinhin wird der Regenbogen in der Buntheit seiner sieben Farbschattierungen wahrgenommen als Brücke zwischen Himmel und Erde, wie es die mythologischen Vorstellungen vieler Völker beschreiben: ein unnahbares, unbeständiges, polychromes Natur-Schauspiel in Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Indigo und Violett, das durch seine plötzlich erstrahlende Schönheit als kurzlebige Erscheinung dauerhafte Spuren in der Kunst hinterlassen hat.

Doch schon die Anzahl der wahrgenommenen Farben scheint kulturell bedingt: Laut Homer gibt es im Regenbogen nur eine Farbe: Purpur; Aristoteles hingegen unterscheidet drei Farben, Seneca fünf, und während bei Ammianus Marcellinus im 4. Jahrhundert n. Chr. schließlich sechs Kolorite des Regenbogens unterschieden werden, sprechen Ovid und Vergil von eintausend. Das optische Phänomen wird mit unterschiedlich motivierter Zahlensymbolik rationalisiert: Der bei der Abfassung schon lange komplett erblindete John Milton schreibt in Paradise Lost von Gottes »triple coloured bow« (dreifarbigem Bogen), um der Heiligen Dreifaltigkeit Bedeutung zuzuschreiben. Isaac Newton weitet das Spektrum um vier Farben auf sieben, um trotz aller Wissenschaftlichkeit den Regenbogen in die universale Harmonie der Zahl Sieben – wie unter anderem in: die freien Künste, die Weisen, die Weltwunder, die Tugenden und Laster, die Schöpfungs- und Wochentage, die Weltmeere, Christi letzte Worte und die musikalischen Ganztöne der Skala – zu reihen, während sich »the million-coloured bow« (der millionenfarbige Bogen) in Percy Bysshe Shelleys berühmtem Wolkengedicht in überfließender Fülle einer leidenschaftlich romantisierten Natur in der Höchstzahl offenbart. Da jede Farbe des Regenbogens in die nächste läuft, hat dieser tatsächlich so viele Couleurabstufungen, wie wir erkennen und dem jeweiligen Bedeutungsspektrum anpassen mögen.

Allerdings fokussiert Goethes Gedicht nicht primär auf das farbenreiche Lichtband, sondern auf das noch seltenere Phänomen des weißen Regenbogens. Auch so ein Nebelbogen entsteht durch Brechung und Reflexion der Sonnenstrahlen in den sehr feinen Wassertröpfchen. Da diese im Nebel nur zwischen 5 und 50 Mikrometer klein sind, können sie bei der geringen Wasserdichte des Dunstes das Licht nicht spektral brechen, und die Nebelkrümmung erscheint weiß: »Doch Himmelsbogen.« Auch ohne die charakteristisch deutlichen Farben des Regenbogens bleibt die weiße Lichtbrücke eine Verbindung zwischen Erde und Himmel und indiziert laut Goethe Gleiches: Jeder Regenbogen ist ein ephemeres Zeichen, das zur Reflexion über menschliche Wandlungsprozesse einlädt.

Jeder Regenbogen ist ein ephemeres Zeichen, das zur Reflexion über menschliche Wandlungsprozesse einlädt.

Ob nun als Zeichen der Liebe, als Epiphanie göttlichen Daseins, als Symbol für Frieden, Hoffnung, Vielfalt, Respekt und Phantasie: Der farbige Regenbogen ist kulturell vielfach tradiert und findet in der Bildlichkeit schon lange vor der PACE-Flagge der 1960er und der Regenbogenfahne der Lesben- und Schwulenbewegung Verwendung. Bereits im Jahre 1525 führte der Reformator Thomas Müntzer das bunte Banner in den Bauernkrieg, wie ein Augenzeuge berichtet: »Die Pauren hetten an ainem jeden fenlin ain regenbogen gemalt gefuert.« Dieser Regenbogenfahne war der Spruch »Dis ist das zeychen des ewigen bund gotes« beigefügt, und sie weist damit zurück auf die Bibel, die berichtet, wie Gott nach der Sintflut mit Noah einen neuen Bund geschlossen hat: »›Meinen Bogen habe ich gesetzt in die Wolken; der soll das Zeichen sein des Bundes zwischen mir und der Erde. Und wenn es kommt, dass ich Wetterwolken über die Erde führe, so soll man meinen Bogen sehen in den Wolken.‹« (1. Mose 9,13-14) Bei Ezechiel und in der Offenbarung des Johannes wird sogar beschrieben, wie ein Regenbogen um den Thron Gottes glänzt, doch die irisierende Göttlichkeit leuchtet literarisch bereits in der Antike. Homer berichtet in der Ilias von der weiblichen Personifikation des Regenbogens: Iris, Botin der Götter. So hat auch Goethe sie vor Augen, denn im Deckenauge des oberen Flurs seines Weimarer Hauses am Frauenplan ist just jene Göttin im Oval mit einem Regenbogen abgebildet. Goethe hatte das Bildnis beim Schweizer Maler Johann Heinrich Meyer bestellt und die mythologische Iris in einem Brief an ihn biblisch aufgeladen: »Ich [...] freue mich auf Ihren Regenbogen, der mich wie Noa nach der Sündfluth empfangen soll.«

Goethe bedient sich in der ersten Strophe seines Gedichts der antiken Mythologie, wenn er die Sonne als Phöbus vermännlicht und durch physikalische Penetration die regenbogenbunte Liebe entstehen lässt: »Wenn zu der Regenwand / Phöbus sich gattet«. Diese Form von jugendlich stürmischer Liebe lässt alle Farben blühen, während im Nebel der Himmelsbogen weiß wie ein Greis erscheint, doch genau so bunt lebendig ist. Phöbus, der Leuchtende, ist überdies der latinisierte Beiname von Apollo, der nicht nur als Gott des Lichts, sondern auch der Kunst wirkt – und somit dem Gedicht als Kunsterfahrung eine selbstreferentielle Deutung einschreibt.

»Meinen Bogen habe ich gesetzt in die Wolken; der soll das Zeichen sein des Bundes zwischen mir und der Erde.«

Doch zunächst zu einer biographischen Lesart: Nach vielen Kriegsjahren brach der fast 65-jährige Goethe im Juli 1814 zu einer Reise in die Rhein-Main-Gegend auf, dem lang vermissten Ort seiner Jugend. Das Poem entstand, als er nach einer regnerischen Nacht bereits am ersten Reisetag die Sonne durch den feuchten Nebel einen weißen Bogen ziehen sah und dies als gutes Zeichen interpretierte. Somit ist »Phänomen« eins der ersten Gedichte, die für den West-östlichen Divan geschrieben wurden, mit dem sich Goethe einer Weltliteratur zugewandt hat, die abend- und morgenländisches Denken ästhetisch miteinander verbindet; eine Kunst-Brücke zwischen Kulturen, zwischen Zeiten und sogar zwischen Geschlechtern. Der Sprecher versichert sich selbst in der letzten Strophe, dass er trotz seines weißen Haares lieben wird. Auch wenn das Geschaute hier einen symbolischen Gehalt besitzt – die weiße Lichtkrümmung im Nebel deutet das lyrische Ich positiv: »Doch Himmelsbogen.« – und die Liebe zum Urgrund allen Seins wird, so erfüllt sich die Prophezeiung für den Dichter doch auch biographisch mit der jungen Marianne von Willemer, die Goethe dann als Suleika im West-östlichen Divan verewigt. Die ganze Gedichtsammlung beruht auf seinem Briefwechsel mit Marianne, die sogar selbst Gedichte zu dem umfassenden Werk beigetragen hat und damit eine ganz besondere Form der musischen Verbindung mit dem Autor eingegangen ist.

Ein weißer Nebelbogen scheint uns im Vergleich zum üppig farbigen zunächst etwas enttäuschend – so selten er auch sein mag. Während das in Farben spektral gebrochene Sonnenlicht an leuchtende Juwelen und bunte Blumen denken lässt, steht Weiß traditionell erst einmal für eine unschuldige Leere – ob das unbeschriebene Blatt, die unbemalte Leinwand, die unberührte Braut. Der polychromen Musik steht das weiße Rauschen gegenüber. »Doch Himmelsbogen.« – auch der weiße Regenbogen ist ein Bote des lichten Himmels. Ja mehr noch: »Die Farben sind Taten des Lichts, Taten und Leiden«, notiert Goethe bereits im Vorwort seiner Farbenlehre. Er glaubte, dass durch das Vermischen von Licht und Dunkelheit die Farben entstehen; erst das wechselseitige Eindringen ermöglicht die bunte Sensation und bringt ein Neues, Farbiges hervor. Goethe hat nicht erkannt, dass Farben durch Refraktion und Dispersion von Licht für uns sichtbar werden. Dabei ist tatsächlich auch der weiße Nebelbogen von einer lichten Farbigkeit durchdrungen, schließlich ist Weiß selbst eine unbunte Farbe – die hellste – und entsteht erst im Gemisch aus Einzelfarben, was dann den Eindruck von Sonnenlicht evoziert.

Das wunderbar konzentrierte Gedicht könnte noch weiter im Hinblick auf Rhythmus, Reim und Assonanz gefeiert und damit der Musik angenähert werden, doch wollen wir den Bogen klingend weiterspannen. Im germanischen Mythos schlägt der Regenbogen als Bifröst eine Brücke zwischen Midgard, der Erde, und dem Götterreich Asgard – ein Echo davon ist in Wagners Ring zu hören, wenn am Ende von Rheingold Donner mit einem Hammerschlag die Wolken auflöst und sich zur neuen Götterbehausung ein Regenbogen bildet, den Froh erklärt: »Zur Burg führt die Brücke, / leicht, doch fest eurem Fuß: / beschreitet kühn / ihren schrecklosen Pfad!« Der Halbgott Loge hingegen kommentiert den Einzug der Götter in Walhall über diesen Regenbogen mit den musikalisch feuermotivisch umrahmten Worten: »Ihrem Ende eilen sie zu, / die so stark im Bestehen sich wähnen.« Die Götterdämmerung hat also schon im Rheingold begonnen, nur haben die Götter noch nicht die Zeichen ihres eigenen Untergangs zu lesen gelernt. Diese Regenbogenbrücke verbindet Leben und Tod, Werden und Vergehen.

Ob nun Germanensage oder Griechenepos, Bibel oder Lyrikband – ein weiterer ikonischer Moment des sprachlichen Regenbogens stammt aus dem 20. Jahrhundert: Die 1940 uraufgeführte Hitler-Satire The Great Dictator – Charlie Chaplins erster Tonfilm – hört mit einer Radioansprache auf, in der der mit dem tomanischen Diktator verwechselte jüdische Friseur im besetzten Osterlitsch an Menschlichkeit, Gerechtigkeit und Frieden appelliert. Der von ihm verehrten Hannah widmet er die letzten Worte: »Der Seele des Menschen wurden Flügel verliehen, und nun endlich beginnt er zu fliegen! Er fliegt in den Regenbogen, in das Licht der Hoffnung, in die Zukunft, die wundervolle Zukunft, die dir gehört, mir gehört, uns allen gehört!«

Hannah hört die Rede, und der Film schließt damit, wie sie den Blick an dunklen Wolken vorbei zur Sonne nach oben richtet und hoffnungsfroh »Hört!« sagt. Hören wir nun der Musik dieser Szene zu und sehen nicht nur das evozierte Sprachbild des Regenbogens, wird etwas Faszinierendes deutlich: Hier werden die zart funkelnden Gralsklänge aus Wagners Vorspiel zu Lohengrin verwendet, die die gerade versprachlichte Utopie in einen schillernden Klangraum platzieren. Doch die gleichen Töne wurden bereits in der berühmtesten Szene des Films eingesetzt, als der Diktator mit einem schwebenden Globus tanzt und sich im Wahn allmächtig glaubt. Die Wagner’sche Musik liefert den Soundtrack für den Traum von der grandios perversen diktatorischen Weltherrschaft ebenso wie für den Traum von einem humanistisch friedlichen Zusammenleben. Die Musik selbst wird klingend zur ephemeren Regenbogenbrücke; es liegt allerdings an uns, den eigenen Standort inhaltlich zu bestimmen, der aus den bunten Sehnsüchten und flüchtigen Träumen Wirklichkeiten werden lässt.

2. »Himmelsbogen«

Die letzte Saison stand unter dem Motto »grenzenlos« und wollte mit Stillleben umrahmt auch den Moment zwischen den Klängen bewusst aktivieren und in sinnlicher Kunsterfahrung die Grenzen von Raum und Zeit überwinden. Die plötzlich zwangsverordnete Stille drohte wie ein schwarzes Loch sich auszubreiten – jedoch konnten die Symphoniker Hamburg ihrem Publikum durch verschiedene Formate ein buntes Angebot machen, das sich ergebende Möglichkeiten zu nutzen wusste und das weiterhin in der Mediathek ihrer Website abrufbar ist. Einige geplante Konzerte, die in der letzten Saison nicht der Stille enthoben werden konnten, werden nun in irisierender Pracht leuchten und den grenzenlosen Himmelsbogen spannen; im Folgenden sollen daher wie beim Regenbogen einzelne Farbvaleurs aufgezeigt werden.

Anders als in der irischen Sage führt unser (klang)farbenfroher Bogen nicht zu Töpfen voll Gold, sondern zu zwei schillernden Frauengestalten in den Symphoniekonzerten: Scheherazade und Salome. Die eine hält als raffinierte Erzählerin ihren Gatten, den persischen Kalifen, von weiteren Frauenmorden ab, während die andere das Objekt ihrer Begierde, Johannes den Täufer, enthaupten lässt. Beide sind künstlerisch durch die Apachen verbunden – nicht die Indianerstämme im Südwesten der USA, sondern in sprachlicher Übertragung der Pariser Belle Époque Anfang des 20. Jahrhunderts: »Les Apaches«. Damals wurde zunächst die kriminelle Pariser Subkultur so tituliert, auch reiste der Begriff über Grenzen, sodass beispielsweise von »russischen Apachen« die Rede war und der »Apache-Revolver« genutzt wurde – eine Kombinationswaffe aus Messer, Schusswaffe und Schlagring. Nach der turbulenten Generalprobe von Debussys Pelléas et Mélisande 1902 in Paris wurde die laute Gruppe der künstlerischen Befürworter von einem Zeitungsverkäufer mokierend als »Les Apaches« tituliert, um das Wilde der Moderne herauszustellen. Diese Künstlergruppe, die diesen Sobriquet übernahm, umfasste unter anderem sowohl Maurice Ravel als auch Florent Schmitt – die Komponisten der in dieser Saison ertönenden Shéhérazade und Salomé. Ravel besuchte alle vierzehn Aufführungen der ersten Saison von Debussys sinnlich verrätselter Oper, die ihn faszinierte.

Er selbst plante, eine Oper über Scheherazade zu komponieren, doch von dem Vorhaben hat sich 1898 nur die Ouvertüre manifestiert; ein Orchesterstück, dem der Einfluss von Rimski-Korsakow anzuhören ist, der zehn Jahre zuvor eine symphonische Suite zu Scheherazade geschrieben hatte. Diese Suite wiederum hat den Poeten Tristan Klingsor (wagnerlastiges Pseudonym von Léon Leclère) zu seinen Gedichten Shéhérazade inspiriert. Als Klingsor seinen Freunden von »Les Apaches« aus diesem Werk vortrug, war Ravel sofort begeistert, und das exotisch Orientalische von Tausendundeiner Nacht nimmt nun mit Klingsors Worten und Ravels Tönen im Liederzyklus Gestalt an. Die drei Stücke, »Asie«, »La flûte enchantée« und »L’indifférent« schlagen einen Bogen, der üppige und träge Sinnlichkeit ebenso wie sanfte Lyrik und Leidenschaft umspielt.

Todestanzende Musik auf dem bunten Bogen zwischen zwei exotisch-erotischen Frauenfiguren

Im längsten Lied, »Asie«, wird die Phrase »je voudrais voir« (ich möchte sehen) vielfach wiederholt und leitet die träumerische Flucht eines europäischen Bewusstseins in den Zauber, die Gewalt und Erotik von Persien, Indien und China in optischer Metaphorik ein. In »La flûte enchantée« hört ein junges Sklavenmädchen ihren Geliebten Flöte spielen, und die Musik zwischen Traurigkeit und Freude erreicht sie wie ein geheimnissvoller Kuss. Das dritte Lied, »L’indifférent«, besitzt einen rätselhaften Zauber: Ein androgyner Junge betört den Sprecher, beziehungsweise die Sängerin, doch weist er die Aufforderung, einzutreten und Wein zu trinken, zurück. Seine fremde Sprache klingt »comme une musique fausse«, doch diese »falsche Musik« entzückt und löst Geschlechtergrenzen auf: Seine sanften Augen und sein verführerischer Hüftschwung werden nur für einen Moment real; seine Erscheinung ist ein momentanes, nicht zu haltendes Faszinosum – wie ein Regenbogen – und changiert im Klang der Betrachtung. Der Zyklus endet so, wie er angefangen hat: in einem mysteriös schillernden Piano. Ravels Shéhérazade wird die Saison eröffnen (26.09.2021 in der Laeiszhalle, als Sonderkonzert am 27.09.2021 in der Elbphilharmonie), seine Orchestrierung von Mussorgskis Bilder einer Ausstellung wird im letzten Konzert in der Laeiszhalle die Saison dann am 19.06.2022 beschließen.

Im vorletzten Saison-Konzert des Chefdirigenten Sylvain Cambreling wird sich der international gefeierte Tenor Sebastian Kohlhepp der Erhellung in Benjamin Brittens Les Illuminations widmen, die der junge Komponist auf zehn Gedichte des noch jüngeren Arthur Rimbaud verklangbildlicht hat. Um Hell und Dunkel, um die Bewegung zwischen Licht und Schatten geht es die ganze Saison, doch besonders in diesem Konzert: Zuvor wird an diesem Abend nämlich Schmitts Tragédie de Salomé erklingen, eine 1907 für Loïe Fuller – Pionierin des modernen Tanzes – geschriebene Ballettmusik auf das »drame muet« (stumme Drama) von Robert d’Humières, der mit dieser Kollaboration seine Intendanz als Pariser Theaterdirektor eröffnete. In der zur Suite gereiften und orchestral erweiterten Musik trifft spätromantisch sinnliche Opulenz auf aufkeimende Avantgarde und weist in expressiver Rhythmik und avancierter Harmonik den Weg bis hin zu Messiaen: und das nur zwei Jahre nach Strauss’ Oper Salome und sechs Jahre vor Strawinskys Le sacre du printemps – auch er zu »Les Apaches« zählend. Doch es werden nicht nur Debussys Befürworter erklingen, sondern auch er selbst: Seine Trois Nocturnes werden als dritter Farbblock in diesem Konzert zu hören sein – ein 1900 uraufgeführtes Werk, das durch Gemälde von James Abbott McNeill Whistler inspiriert wurde. Darüber hinaus werden am 15.05.2022 einige von Debussys Préludes erklingen – Charakterstücke, die zwischen 1910 und 1913 für Klavier geschrieben wurden und die knapp einhundert Jahre später in der Orchestrierung von Colin Matthews nun in allen instrumentalen Klangfarben funkeln.

»Das bedeutet, dass alle sakrale Kunst – sei es musikalische Malerei oder farbige Musik – vor allem eine Art Regenbogen von Klängen und Farben sein muss.«

Am 30.01.2022 werden die Trois petites liturgies de la présence divine gespielt, die Olivier Messiaen während des Zweiten Weltkriegs vertextet und vertont hat, als er seiner Gefangennahme in Verdun 1941 entkommen konnte. Im Stück wird in drei Sektionen eine himmlische Präsenz in uns, in Gott und in allen Dingen beschworen, doch werden laut Messiaen »diese unsagbaren Ideen nicht formuliert, sondern bleiben in der Ordnung einer schillernden Farbendarstellung«. Diese »schillernde Farbendarstellung« religiöser Themen wird durch Frauenstimmen, großes Schlagwerk, Klavier, Streichorchester und Ondes Martenot – ein frühes elektronisches Instrument ätherischer Couleur – irisierend hervorgerufen. Messiaen selbst betont diese Farbsynästhesie: »Das bedeutet, dass alle sakrale Kunst – sei es musikalische Malerei oder farbige Musik – vor allem eine Art Regenbogen von Klängen und Farben sein muss [...]. Die religiöse Musik entdeckt Gott zu aller Zeit und überall, auf unserem Erdenplaneten, in unseren Gebirgen, Ozeanen, in der Mitte von Vögeln, Blumen, Bäumen, Pflanzen und auch in dem unsichtbaren Universum der Sterne, die uns umgeben; aber die Musik der Farben macht das, was die Glasfenster und Rosetten des Mittelalters tun [...] und bringt uns dahin, dass wir unsere Begriffe hinter uns lassen, um dort anzukommen, wo, höher als Vernunft und Intuition, der Glaube ist.«

Mit dem Regenbogen als Brücke vom Himmel auf die Erde rückt just diese in eine klingende Betrachtung. Im sechsten Symphoniekonzert (27.02.2022 in der Laeiszhalle, als Sonderkonzert am 28.02.2022 in der Elbphilharmonie) wird im großen zeitlichen Bogen vom 18. Jahrhundert zur Moderne des 20. Jahrhunderts die Erde in tönender Erfahrbarkeit präsentiert: Haydn, Mahler und Varèse nähern sich dem irdischen Chaos ebenso wie der daraus resultierenden Suche und den Fragen nach himmlischer Ordnung an, die Goethes insistierende Zeile »Doch Himmelsbogen.« beantwortet.

Die Ordnung ist etwas Künstliches. Das Natürliche ist das Chaos.

Nach mehreren Jahren regen Briefwechsels mit Goethe lernte der Komponist und Dirigent Carl Friedrich Zelter den Dichterfürsten im Jahr 1802 persönlich kennen – der Beginn einer außerordentlich intensiven Freundschaft und eines regen Austauschs über Musik. Im selben Jahr rezensierte Zelter Haydns wenige Jahre zuvor uraufgeführtes Oratorium Die Schöpfung. Dessen Einleitung »Die Vorstellung des Chaos« beeindruckt ihn besonders: als »das Herrlichste in diesem Werke« und »die Krone auf einem königl. Haupte«. Zelter erkannte die Besonderheit, in der musikalischen Harmonie und Ordnung ihre Abwesenheit darzustellen: »Es sind hier fast alle gangbaren Instrumente als Stoff und Materialien beysammen, woraus ein ungeheures, fast unübersehbares Gewebe von Herrlichkeiten der Kunst zusammengesezt und geordnet worden ist. Die Einwendung, von der Unmöglichkeit eines Chaos durch harmonische, melodische und rhythmische Kunstmittel, zerfällt hier offenbar in eine subtile Verstandesprätension, womit sich allenfalls ein Komponist ausreden könnte, dem eine solche Aufgabe gemacht wäre, die er nicht lösen wollte; allein dieser Schein von Unmöglichkeit und des Widerspruchs; mit einem Worte, diese Fabelhaftigkeit, ist auch zugleich das Poetische und somit das Beste an der ganzen Intention.« Damit berührte Zelter die entscheidende Paradoxie: Kann die auf Ordnung gerichtete musikalische Kreation in die Lage versetzt werden, das Chaos darzustellen? Die Frage hat über ein halbes Jahrhundert zuvor Jean-Féry Rebel in seiner letzten Komposition 1737, der Symphonie »Les Éléments« dissonant modern beantwortet. Auch er beginnt sein Werk mit einem Prolog, »Le chaos«, der von einem musikalischen Urknall ausgeht: Alle Töne der d-Moll-Tonleiter erklingen als radikaler Cluster gleichzeitig dissonant laut – unerhört im Barock! Rebel fasst das Chaos klangbildlich als Unordnung von etwas Existierendem: Alle Noten sind in harmonischem Chaos, doch bereits vorhanden. Haydn hingegen fokussiert nicht die Unordnung, sondern den Zustand vor jedweder Ordnung: Aus einer leeren Oktave, einem einzigen Ton aller Instrumente, dem C, entwickelt er eine Vorstellung von formlosem Chaos, das tönt, aber eben nicht als Zerstörtes einem größeren Bogen unterworfen ist. Die Formlosigkeit per se ist das Chaos, und auf diesen einen Ton läuft die Einleitung auch wieder hinaus. An den über 70-jährigen Goethe summierte Zelter fast zwanzig Jahre nach seiner Rezension noch einmal seine Faszination für das Stück: »Die Ouvertüre in Haydns Schöpfung ist das Wunderbarste aller Welt, indem durch ordentliche, methodische, ausgemachte Kunstmittel ein Chaos hervorgebracht ist, das die Empfindung einer bodenlosen Unordnung zu einer Empfindung des Vergnügens macht.« Dieses Werk eröffnet das sechste Symphoniekonzert, ihm folgt dann ein Stück, das bei seiner Uraufführung 1954 einen veritablen Skandal verursacht hat: Edgar Varèses Déserts – eine Komposition für Orchester und Zweispur-Tonband, für viele vielleicht nicht das eben beschworene »Wunderbarste aller Welt«, aber sicher mit das Wunderlichste aller Welt. Leider sind die Frühwerke Varèses durch einen Brand oder später durch die Hand des Komponisten selbst vernichtet worden – wie auch sein von Richard Strauss 1910 uraufgeführtes Bourgogne. So haben wir die radikale Entwicklung des Komponisten weder vor Augen noch in den Ohren. Ihm gelingt es, in den Déserts nicht nur die Wüsten aus Sand, Stein, Schnee und Städten zu evozieren, sondern – wie der Komponist selbst expliziert – zusätzlich auch »den entfremdeten inneren Raum, wo der Mensch allein in einer Welt des Geheimnisses und der wesentlichen Einsamkeit ist«, in Tönen und Klängen zu erbauen.

Die Brücke von endlicher Erde und ewigem Himmel spannt nun nicht nur der farbige Regenbogen, sondern wir begegnen ihr in diesem Konzert auch in einer Verschmelzung von Lied und Symphonie: in Gustav Mahlers Das Lied von der Erde. Laut Zeitgenossen scheute sich Mahler in abergläubischer Angst, diese Komposition mit der Symphoniezahl 9 zu versehen, da ja Beethoven, Schubert und Bruckner nicht über die Neunte hinausgekommen sind. Doch auch Mahler konnte diesem Schicksal schließlich nicht entgehen, schrieb er nach dem Lied von der Erde zwar seine neunte Symphonie, doch hinterließ er dann 1911 nur noch ein Adagio-Fragment der zehnten. Inhaltlich kulminieren im Lied von der Erde gewissermaßen die Themen, mit denen sich Mahler immer wieder beschäftigt hat: die Endlichkeit des menschlichen Daseins, Lebensbejahung versus Weltabkehr, verstreichende Zeit und Ewigkeit, Abschied und Ankunft, Krise und Kreativität. Der Uraufführungsdirigent Bruno Walter spricht sogar vom »mahlerischsten seiner Werke«. Das Lied von der Erde ist trauben-trunken und jenseitssüchtig, duftet nach Lotosblume und Leichenblässe, klingt weinverzückt und weltentrückt, zeigt Illusion und Realität – oder wie der Anfang des fünften Liedes lautet: »Wenn nur ein Traum das Leben ist«. Und zwischen Traum und Leben wollen wir uns bildlich noch einmal dem Regenbogen zuwenden.

3. ».«

Robert Schumann schrieb über den Übergang zum letzten Satz von Beethovens Schicksalssymphonie: »In diesem Moment ruhen die Bässe auf jenem tiefsten Ton im Scherzo der Symphonie: kein Odemzug: an einem Haarseil über einer unergründlichen Tiefe hängen die tausend Herzen und nun reißt es und die Herrlichkeit der höchsten Dinge baut sich Regenbogen über Regenbogen aneinander auf.«

Es wurden Regenbögen in Bedeutungsvielfalt beschworen, der blinde Milton herbeizitiert, die Schönheiten der chaotischen Erdschöpfung versprachlicht, religiöse Bezüge hergestellt und von zwei exotisch schillernden Frauengestalten gerahmt, und so soll eine kurze Bildbetrachtung von zwei Mädchen mit doppeltem Regenbogen uns über die Augen auf die Sensibilität des Konzertprogramms für die Ohren einstimmen.

John Everett Millais hat 1856 in seinem luminös brillant kolorierten Gemälde »Das blinde Mädchen« zwei junge Frauen – vermutlich Schwestern – gemalt. Die umherziehenden Bettlerinnen ruhen sich Hand in Hand nach einem Regenguss am Straßenrand bei einem Bächlein vor saftig grüner Wiese mit Wildvögeln und Farmtieren aus; im Hintergrund sieht man die Stadt Winchelsea in Sussex. Das ältere Mädchen trägt einen Zettel am Ausschnitt, auf dem »Pity the Blind« (Bemitleidet die Blinden) steht, während das jüngere, ins Tuch ihrer Schwester eingekuschelt, den doppelten Regenbogen erspäht. Diesen hat Millais tatsächlich nachträglich korrigiert, um ihn realistisch mit invertierter Farbreihenfolge zu präsentieren, da er den zweiten Himmelsbogen zunächst genau wie den primären koloriert hatte. Während wir dieses gekrümmte Farbenphänomen sehen, nimmt das rot-haarige Mädchen mit anderen Sinnen die Welt um sich wahr: Sie fühlt das feinhalmige Gras mit schwieliger Hand, spürt die Sonne im rotwangigen Gesicht, streckt die Nase in den Wind und hat im Schoß ein Musikinstrument liegen: eine Konzertina. Mitte des 19. Jahrhunderts war das Blasebalg-Instrument außerordentlich populär – als das Bild gemalt wurde, gab es weit über 100 Fabrikationsstätten allein in England. Doch wird hier nicht die Luft geblasen, die Finger werden nicht auf den Knöpfchen bewegt – der Schmetterling auf ihrem Tuch, ein kleiner Fuchs, zeugt vielmehr von der stillen Unbeweglichkeit des älteren Mädchens und der leisen Schönheit ihres Wesens; das griechische Wort für Schmetterling, ψυχή (psyché), bezeichnet schließlich ebenfalls die Seele. Die Seele des blinden Mädchens scheint mit dem bunten Falter in friedlicher Eintracht zu ruhen. Millais hat künstlerisch den Moment eingefangen, in dem die Seele des Mädchens frei erfahrbar und es selbst nicht von seiner körperlichen Einschränkung dominiert wird. Aber mehr noch: Der Schmetterling ist aufgrund seiner Wandlung von Raupe über Puppe zu Falter auch das Sinnbild der Metamorphose, und es ist die sinnlich ruhige Brillanz des Mädchens, die das Bild der Wandlung von Regenguss zu Sonnenschein erstrahlen lässt. Es erinnert mit dem Cape-artigen Tuch zwar an eine Mariendarstellung, doch überwiegt nicht so sehr eine religiöse Allusion als vielmehr eine klangspirituelle Anspielung auf die Stille. Die Glockenblumen an der Grasböschung symbolisieren floral den Klang, der musikalisch konkret in der Konzertina verbildlicht ist. Dieses Instrument im Schoß analogisiert mit seinen blauen Falten das Kleid der jüngeren Schwester und mit den ockerfarbenen Seitenwänden den Rock der Blinden; es wirkt wie ein Konzentrat der beiden und würden wir es auf dem Bild nach oben schieben, landete es mittig zwischen den beiden Regenbögen. Das Bild umspielt nicht nur im ihm eigenen Genre die Sinnlichkeit des Sehens bis hinauf in den doppelten Himmelsbogen, sondern inkludiert mit dem schweigenden Musikinstrument auch den Klang. So wie ein Regenbogen nur vorübergehend existiert, so er- und verklingt auch Musik. Das Wunder des gebrochenen Lichtes in Farben, der Zauber der schwingenden Luft in Musik – live zu erlebende Phänomene, die wir nicht fassen und halten, denen wir aber beiwohnen können. So traurig wie es ist, dass das blinde Mädchen die üppig, fast emailliert glänzende Farbigkeit der Natur von sonnenhell grüner Wiese mit blauen Blumen bis hin zum doppelten Regenbogen vor der dunklen Wolkenwand nicht sehen kann, so enttäuschend ist es, dass die Konzertina still im Schoß liegt und nicht von klingend musikalischer Bewegung tönt. Das Gemälde führt uns mit der Blinden in einer bunt strahlenden Landschaft so nicht nur die Kraft des Sehens vor Augen, sondern appelliert auch an die Ohren, die ein Gemälde per se niemals befriedigen kann. Wir betrachten unser eigenes Sehen, erkennen die ebenfalls dargestellten sinnlichen Alternativen und hoffen auf den Klang – vielleicht den Ton D, der als einziger Buchstabe auf dem Blinden-Zettel im Sonnenlicht über der Konzertina strahlt.

Was für die Raupe das Ende der Welt, ist für den Rest der Welt ein Schmetterling.

Wenige Jahre bevor Millais das Gemälde kreierte, publizierte Robert Browning sein zweiteiliges Gedicht »Christmas-Eve and Easter-Day«, in dem ein doppelter Regenbogen gefeiert wird: »With its seven proper colours chorded« (Mit seinen sieben ihm eigenen Farben im Akkord). Der Himmelsbogen erstrahlt nicht nur in Farben, »Until at last they coalesced, / And supreme the spectral creature lorded / In a triumph of whitest white, –« (Bis endlich sie miteinander verschmolzen, / Und souverän die spektrale Kreatur herrschte / In einem Triumph des weißesten Weiß) – womit wir wieder beim hellen Goethe’schen Himmelsbogen wären. Der Dichterfürst betonte die Notwendigkeit der Flüchtigkeit für den Zauber: »Einen Regenbogen, der eine Viertelstunde steht, sieht man nicht mehr an.« Doch geht es dem Sprecher im Gedicht »Phänomen« ja um die Liebe, die auch im Alter eine göttliche Brücke »Doch Himmelsbogen.« bildet. Dem optischen Phänomen sei diese Saison nun das akustische zur Seite gestellt, das Nietzsche wie folgt fasst: »Mit Tönen tanzt unsre Liebe auf bunten Regenbögen.«

 

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Dr. Alexander Meier-Dörzenbach ist nach seiner juniorprofessoralen Tätigkeit im Fachbereich Amerikanistik an der Universität Hamburg und seiner Arbeit als Chefdramaturg des Aalto- Musiktheaters und der Essener Philhar- moniker inzwischen freischaffend tätig. Als Operndramaturg arbeitet er unter anderem bei den Bayreuther und den Salzburger Festspielen, in London, Amsterdam, Paris, Wien und Berlin, lehrt an mehreren Universitäten und Hochschulen und ist dramaturgisch beim Lausitz Festival tätig. Mehr lesen