Oboe Obligat

5. Kammerkonzert

Oboe Obligat

Laeiszhalle Hamburg, Kleiner Saal
So, 19.02.2017 10:00 Uhr
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Solisten: Bianca Adamek, Satoko Koike, Li Li, István Lukacs, Christian Specht

Werke von Arnold, Bliss, Mozart, Purcell, Vaughan-Williams

Zum Konzert:
Dieser klare, energische und auch mal verspielt-lustige Holzklang! Seit dem Barock ist die Oboe aus dem Orchester nicht mehr wegzudenken, ohne sie wäre der Sound ein anderer – ebenso ohne den klagenden Ruf des verwandten Englischhorn. Solistisch lassen sich beide Instrumente nicht alltäglich genießen. In diesem Kammerkonzert stehen sie aber einmal ganz und gar im Mittelpunkt: Heute Morgen sind sie also noch mehr als sonst »obligat«, unentbehrlich.  Wolfgang Amadeus Mozarts einziges Oboenquartett entstand nicht etwa in Salzburg oder Wien, sondern in München. Der Grund: Die Mannheimer Hofkapelle, das damals vermutlich weltbeste Orchester, zu dem Mozart einst freundschaftliche Bande geknüpft hatte, musste 1778 nach München übersiedeln, und Mozart erhielt den Auftrag, die Faschingsoper für das Jahr 1781 zu schreiben. Er schuf also »Idomeneo«, reiste in die bayerische Hauptstadt und schrieb vor Ort gleich noch ein paar Gelegenheitswerke, darunter das Oboenquartett. War es ein Scherz? Nach dem gesanglichen Allegro und dem gefühlsintensiven Adagio arbeitete Mozart in den dritten Satz einen Stolperstein ein: Die Streicher bleiben beim 6/8-Takt, doch die Solostimme wechselt plötzlich in einen 4/4-Takt. Derlei Überlagerungen verschiedener Metren sind in der Klassik sehr ungewöhnlich und stellen die Interpreten vor große Herausforderungen. Wollte Mozart die in München spielenden Mannheimer also auf die Probe stellen?  Der englische Komponist Ralph Vaughan Williams liebte seine Heimat. Viel Zeit verbrachte er auf Reisen durch britische Dörfer, um Volksmusik aufzunehmen und zu transkribieren. Ein Ergebnis dieser Arbeit sind seine sechs Studien, die er 1926 für Cello und Klavier schrieb und die später von ihm selbst und anderen für unterschiedliche Besetzungen bearbeitet wurden. Vaughan Williams bat in der Partitur darum, dass sie »mit Liebe« behandelt werden: Es lag ihm erkennbar am Herzen, dass diese Zeugnisse englischer Volksmusik, die das Ausgangsmaterial sehr behutsam formen, bewahrt und geehrt werden. Vaughan Williams' Landsmann Malcolm Arnold (1921-2006) schlägt mit seinem Oboenquartett aus dem Jahr 1957 modernere (und hier und da durchaus amüsante) Töne an. Der Oscar-Preisträger (Musik für »Die Brücke am Kwai«) war vorübergehend Trompeter beim London Philharmonic Orchestra, konnte sich aber den Großteil seines Lebens seiner Leidenschaft, dem Komponieren widmen; er schuf weit mehr als 100 Filmmusiken. 1970 erhielt er den Order of the British Empire und 1993 den Ritterschlag. Bemerkenswert ist, dass er zwar neuartige Elemente des Jazz oder auch der Volksmusik in seine Werke einarbeitete, sich ansonsten aber vor allem der tonalen Musik verp ichtet fühlte – Berlioz und Sibelius schätzte er sehr. Dieser »Konservatismus« ist auch im Oboenquartett immer wieder hörbar. Der zweite Satz beispielsweise könnte dem 19. Jahrhundert entstammen.  Auch nach der Pause geht es britisch weiter, und zwar in doppelter Hinsicht. Die bekannte Chaconne in g-Moll, die der englische Barock-Kom- ponist Henry Purcell um 1680 schrieb, arbeitete Benjamin Britten Jahrhunderte später für eine Streichquartettbesetzung um. Der spanische Tanz wird so  zu einem transparenten Klagegesang – gewissermaßen eine Mischung von barocker Polyphonie und modernem Melos. Das Konzert schließt mit einem weiteren Engländer: Arthur Bliss nimmt Purcells ernsten Grundcharakter in seinem Quintett für Oboe und Streichquartett auf. 1927 in Venedig uraufgeführt, reflektiert es am deutlichsten von allen Werken dieses Kammerkonzerts die Entwicklungen seiner Entstehungszeit. Die Prägung Bliss' durch den Ersten Weltkrieg, in dem er an der französischen Front kämpfte, an der Somme verwundet und durch Senfgas vergiftet wurde, sind wohl nicht zu unter- schätzen. Zurück in London nahm er die musikalischen Strömungen etwa von Igor Strawinsky auf, wandte sich aber auch den Nationaltraditionen Englands zu – um dann später ebenfalls zahlreiche Filmmusiken zu schreiben. (Bekannt wurde er etwa mit seiner »Colour Symphony«.) Das Quintett changiert eindrucksvoll zwischen musikalischen Fantasiereisen, sorgenvoller Trübnis und dem Beschwören von offensichtlich vergangenem Frieden. Ein perfektes Spielfeld für alle Klangschattierungen der Oboe.