Symphonie d-Moll

Und noch jemand, der nach Paris strebte: Nach Außen lebte der am 10. Dezember 1822 in Lüttich (Belgien) geborene César Franck ein bescheidenes und ereignisloses Leben, aber man kann ohne Übertreibung behaupten, dass er die französische Musikgeschichte beeinflusst hat wie kaum ein Zweiter. Das ist vor allem seiner herausragenden pädagogischen Begabung zu verdanken: Franck unterrichtete seit 1872 am Pariser Conservatoire mit Feuereifer und wurde von seinen Schülern – darunter Ernest Chausson, Henri Duparc und Vincent d’Indy – inbrünstig verehrt. Selbst Schüler, die sich ihm widersetzten, wie Claude Debussy, erkannten seinen Einfluss an.

»Bei César Franck war alles Gefühl und beinahe nichts reine Vernunft«, notierte Romain Rolland 1908, er sei »ein Mystiker, dem der Zeitgeist verschlossen blieb«. Franck glaubte trotz öffentlicher Verkennung und Fehlschläge unbeirrbar an seine Kompositionen. Zwar wurde er als lebensferner Träumer charakterisiert, doch konnte er eine erstaunliche Beharrlichkeit an den Tag legen. Dieser Zähigkeit war es auch zu verdanken, dass seine Symphonie d-Moll das Licht des Konzertsaals erblickte. Denn trotz seiner Positionen als angesehener Lehrer und Organist wurde er als Komponist kaum beachtet. Den Ruf als führender Symphoniker Frankreichs hütete zudem eifersüchtig Camille Saint-Saëns, dessen Orgelsymphonie nur drei Jahre vor Francks Beitrag zu dieser in Frankreich damals unterrepräsentierten Gattung uraufgeführt wurde. Denn da ging es Franck noch wie Berlioz: Wer etwas gelten wollte in Paris, der musste keine Symphonien, sondern Opern schreiben. So rührte dort keiner der angesehenen Musiker und Dirigenten eine Hand für Francks 1888 vollendete d-Moll-Symphonie. Widerwillig arrangierte Jules Garcin zwei Aufführungen in der Société des Concerts du Conservatoire am 17. und 24. Februar 1889 – ein Jahr vor Francks Tod. Der Komponist verfolgte umgeben von einigen Schülern die Proben und umklammerte mit störrischem Stolz die Partitur. In der Tat wurde die Uraufführung ein Reinfall. Kollegen gossen ihren Spott über Franck aus: Gounod nannte die Symphonie »die Bestätigung einer Unfähigkeit, die bis in dogmatische Längen getrieben wird«. Ambroise Thomas machte sich über die eigenwilligen, zahlreichen Modulationen lustig.

Erst die Nachwelt richtete: Heute ist Francks d-Moll-Symphonie längst als eines der bedeutendsten symphonischen Werke aus Frankreich anerkannt. Mit ihrer Grandeur und Eleganz, ihrer Mischung aus französischem Parfüm und deutscher Strenge gehört sie auf der ganzen Welt zu den Favoriten des Konzertpublikums. Dass Franck sich überhaupt so ausführlich mit Instrumentalmusik beschäftigte, mag seiner »deutschen Prägung« zuzuschreiben sein, denn seine Eltern stammten beide aus dem Raum Aachen, zogen dann allerdings nach Lüttich. Die meiste Zeit seines Lebens hat er allerdings in Paris verbracht, wo er als Dreizehnjähriger Schüler von Anton Reicha wurde, einem Freund Beethovens. Der Bonner Titan blieb denn auch sein großes Vorbild, und in der Themenverschränkung im Finale seiner d-Moll-Symphonie bezog er sich ebenfalls explizit auf das Muster von Beethovens Neunter.

Francks Zeitgenossen verstörte wohl nicht nur die reiche Harmonik seiner Symphonie, sondern auch ihre ungewöhnliche Formgebung. Sie weist nur drei statt üblicherweise vier Sätze auf, die auch noch durch gemeinsame thematische Substanz miteinander verbunden sind. Originalität in der Form weist gleich der erste Satz auf, denn die düster-verhangene langsame Einleitung kehrt nach einem dramatischen Allegro-Teil ein zweites Mal zurück – und vor Eintritt der Reprise sogar ein drittes Mal, diesmal kunstvoll als Kanon geführt. Drei Themen bestimmen das musikalische Geschehen: ein »energisches und feuriges« (so Francks eigene Worte) in d-Moll, ein zweites, kantables in der Paralleltonart F-Dur als Violinkantilene, die Francks Schüler Guy Ropartz als »Motiv der Hoffnung« charakterisierte. Am eingängigsten ist das heroisch-triumphale dritte Thema, das, so Franck, »in der Durchführung sehr nützlich« sei und »im Finale wieder aufgenommen wird« und von Ropartz »Motiv des Glaubens« getauft wurde.

Zum folgenden Allegretto schrieb Franck im Programmzettel der Uraufführung: »Der Satz beginnt mit gezupften Akkorden der Streicher und der Harfe, die die Melodie des Themas zunächst nicht hervortreten lassen. Dieses zarte und melancholische Thema wird von einem Englischhorn vorgetragen.« Ein Hauch von Archaik und Vergänglichkeit umgibt die eigenartige elegische Klangfarbe dieses Instruments, das auch in Wagners »Tristan« so traurig von morbider Ritterlichkeit singt. Ein Schüler Francks überliefert, dass eine »Prozession aus Urväterzeiten« das programmatische Vorbild für die schwebende, poetische Tristesse dieses Satzes gewesen sei. Als Mittelteil ist ein eigenständiges Scherzo eingebettet: eine leichte, luftige Triolenbewegung, die anschließend als Gegenthema in den Violinen mit der Englischhornweise kombiniert wird.

Das Finale, so Franck, »beginnt mit einem Thema in einem klaren und gewissermaßen leuchtenden Ton, das somit mit den beiden eher düsteren und melancholischen Themen der beiden vorangehenden Sätze kontrastiert«. Nach diesem weitschwingenden Cello-Gesang erklingt ein etwas kurzatmiges H-Dur-Thema abwechselnd in den Blechbläsern und Streichern. Markant lässt Franck die Englischhorn-Melodie des zweiten Satzes wiederkehren, aber auch die thematische Keimzelle vom Beginn des ersten Satzes, diesmal nach Dur gewendet. Mit dieser raffnierten Übereinanderschichtung der Themen aus allen drei Sätzen geht Franck weit über bloßes Zitieren hinaus. Die Prägnanz der Franck’schen Themen macht dem Hörer dabei die Wiedererkennung leicht. Mit markerschütternder Wirkung wird aus der zarten Englischhorn-Kantilene plötzlich ein massiver Klangblock in raumgreifender orchestraler Fülle. Auch das triumphale dritte Thema des ersten Satzes (»Motiv des Glaubens«) wird noch einmal in Erinnerung gerufen. Die Coda sorgt für einen so jubelnden, unwiderstehlichen Schlusspunkt, dass man kaum begreift, warum das Werk bei der Uraufführung so kläglich durchfiel.
César Franck
César Franck

Historie

25.03.2018 - Spätromantische Urkraft

Ion Marin Dirigent

Guy Braunstein Violine

Werke von Enescu, Glazunow und Franck