Die Geschichte von Georges Bizets C-Dur-Symphonie ist eigenartig. Da bringt jemand mit nur 17 Jahren in einem Mozart-gleichen jugendlichen Schaffensrausch eine formvollendete Symphonie zu Papier, zeigt sie aber niemandem und erzählt noch nicht einmal seinen Lehrern davon. Mehr noch: Es bleibt Zeit seines (kurzen) Lebens das einzige Werk dieser Gattung; und es braucht geschlagene acht Jahrzehnte, bis die Uraufführung stattfindet und Bizet nicht mehr ausschließlich als der Carmen-Komponist wahrgenommen wird.
Eines stimmt schon: Der Student orientierte sich 1855 an dem Trio Haydn, Mozart, Beethoven sowie insbesondere an Charles Gounod, dessen D-Dur-Symphonie er kurz zuvor für Klavier umgearbeitet hatte. Der mustergültig geformte erste Satz legt – wenn auch bereits einzelne kleine Merkmale seiner späteren Arbeiten zu erkennen sind – Zeugnis seiner Studien ab. Doch das Adagio an zweiter Stelle ist eine ganz eigene Bizet-Arbeit. Die Oboe präsentiert das Hauptthema, das unter anderem auch in seiner Oper »Die Perlenfischer« auftaucht. Die hohen Streicher entwerfen zu dem Hauptthema eine überaus großzügig phrasierte Melodie, die aufs erste Hören gar nicht so ganz dazu passen mag, und sogar ein überraschend sauber gearbeitetes Fugato fügt sich in dieses nur auf dem Papier heterogene Konglomerat bestens ein.
Es folgt ein von einer frischen G-Dur-Fanfare geprägtes Scherzo, das wie nebenbei auch einem warmen Streicherthema Platz bietet. Beinahe ein wenig gehetzt nimmt es seinen Lauf – wie es sich gehört von einem etwas beruhigten Trio unterbrochen. Das Finale lässt noch einmal aufhorchen: Erinnern die beiden Themen nicht an »Carmen«? Der Eindruck trügt nicht. Während das eine den Stierkampf vorwegnimmt, weist das zweite auf den Auftritt der Kinder in dieser überaus bekannten Oper voraus. Freilich endet die Symphonie aber nicht tödlich. Sondern elegant, charmant und für einen 17-Jährigen maßlos selbstbewusst.
Was Musik also alles sein kann: Schmerz, Hoffnung, Reisetagebuch und Versöhnung.
05.12.2021 - Föhnwolken der Ferne
Sylvain Cambreling, Lucas Debargue
Werke von Hosokawa, Saint-Saëns und Bizet