Symphonische Tänze op. 45

Wenn ein Komponist das Wort »Tanz« gar im Werktitel verwendet, möchte er wohl auf den bewegenden Charakter der Musik verweisen. Zu Sergei Rachmaninows neben den Klavierkonzerten und -stücken etwas weniger beachteten Orchesterwerken gehört außer den drei Symphonien und den Tondichtungen seine letzte Komposition, die »Symphonischen Tänze« von 1940. Die Partitur zählt zu den anspruchsvollsten in der gesamten Literatur; die Orchesterversion (es existiert zudem eine für vier Klavierhände) wurde im Januar 1941, also zwei Jahre vor Rachmaninows Tod, vom Philadelphia Orchestra unter Eugene Ormandy uraufgeführt.

»Ich empfinde keine Sympathie gegenüber Komponisten, die Werke nach vorgefassten Formeln oder vorgefassten Theorien schreiben. Oder gegenüber Komponisten, die in einem gewissen Stil schreiben, weil es modisch ist, so zu schreiben«, meinte Rachmaninow im Jahr der Uraufführung. Und vielleicht passt diese Aussage auf Weniges so gut wie auf sein letztes großes Orchesterwerk: »Große Musik ist niemals auf diese Weise produziert worden – und ich wage zu sagen, wird es auch nie. Die Musik eines Komponisten sollte sein Geburtsland ausdrücken, seine Liebesaffären, seine Religion, die Bücher, welche ihn beeinflusst haben, die Bilder, die er liebt. Sie sollte das gesamte Produkt der Erfahrungen des Komponisten sein.«

Man sollte angesichts des in den »Symphonischen Tänzen« mehrfach präsenten, unheilvollen Dies-irae-Motivs zwar nicht in die Falle tappen und das Werk vom Lebensende des Komponisten aus betrachten. Es handelt sich nicht um ein Testament. Und doch ist bemerkenswert, wie viele Selbstzitate Rachmaninow in die drei allesamt in Moll stehenden Sätze einbaut – welche ursprünglich übrigens mit »Mittag«, »Abend« und »Mitternacht« überschrieben sein sollten. Diese letztlich verworfenen Überschriften sorgten für eine populäre Deutung des Werks als autobiografisches Resümee – die jede Hörerin und jeder Hörer für sich selbst verifizieren möge ...

Der erste Satz verbindet das 19. und das 20. Jahrhundert: Während wir am Schluss das Hauptthema der 1897 uraufgeführten ersten Symphonie Rachmaninows hören, die damals ein ihn selbst in eine Krise stürzender Misserfolg war, stellt uns den lyrischen Hauptgedanken zu Beginn ein Instrument vor, das wie kaum ein anderes mit dem Jazz in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts assoziiert wird: das Saxofon. (Kurioser Funfact: Die Frage, ob dieser erste Satz zu Beginn schnell oder langsam gespielt werden muss, sorgte für Verwirrung. Denn in der ersten Druckausgabe stand fälschlich »Non allegro«, richtig ist aber einfach »Allegro«.)

Der zweite Satz soll für die Lebenszeit Rachmaninows zu Beginn des 20. Jahrhunderts (bis zur russischen Revolution) stehen und sorgt mit seinem Dreivierteltakt für den Charakter eines eher traurigen Walzers. Einfach toll ist, wie es Rachmaninow gelingt, die Spannung trotz der Flächigkeit und annähernden Bewegungsarmut hochzuhalten. Im dritten Satz, der von zwölf Glockenschlägen eingeleitet wird, erkennen Rachmaninow-Fans dann Ausschnitte aus »Die Toteninsel«, »Die Glocken« und der »Vespermesse« wieder, und im hoffnungsvollen, mit »Alleluja« überschriebenen Schluss zieht sogar das Dies irae des Jüngsten Gerichts den Kürzeren.

Der Komponist selbst hielt die »Symphonischen Tänze« für sein bestes Werk. Wer möchte da widersprechen angesichts der formalen Dichte, der Instrumentationskunst und der im wahrsten Wortsinne »bewegenden« Intensität?

Sergei Rachmaninow
Sergei Rachmaninow

Historie

09.01.2022 - Neujahrskonzert

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