Harold in Italien op. 16

1. Satz: Harold in den Bergen. Szenen der Melancholie, des Glücks und der Freude

2. Satz: Marsch der Pilger, die das Abendgebet singen

3. Satz: Abendliches Ständchen eines Abruzzen-Gebirglers an seine Geliebte

4. Satz: Gelage der Räuber. Erinnerungen an vergangene Szenen

Der erste Satz von Hector Berlioz‘ »Harold in Italien« ist mit »Harold in den Bergen« betitelt. Nun stellen sich zwei Fragen: Wer ist Harold? Und was macht er in den Bergen? Schon die erste Frage ist nicht so leicht zu beantworten. Denn einerseits übernahm Berlioz die Figur des Harold aus der Feder des englischen Romantik-Dichters Lord Byron. (Auf dessen Gedicht »Childe Harold’s Pilgrimage« weist der Komponist selbst hin.) Andererseits ließ er aber manche eigenen Eindrücke einfließen, die er auf Wanderungen durch die italienischen Abruzzen gewann. Also »erzählt« uns die Musik genau genommen von Berlioz, der sich selbst als ein Harold sieht. Und die Aufgabe der Solo-Bratsche ist es, dieses komplexe lyrische Ich zu verkörpern – während das Orchester die Welt darstellt, durch die der Künstler wandelt.

»Ich kam auf den Gedanken, für das Orchester eine Reihe von Szenen zu schreiben, in denen die Solo-Bratsche die Rolle einer mehr oder minder wichtigen Person spielen sollte, die durch das Ganze ihren eigenen Charakter bewahrt«, meinte Berlioz. Das bedeutet: Die Bratsche reagiert auf das Orchester, also quasi auf die Sinneseindrücke während der Wanderung, sie bleibt sich selbst aber stets treu und spielt gern immer wieder dasselbe Thema im Dreivierteltakt, das im ersten Satz, nur von der Harfe begleitet, vorgestellt wird. Das ist natürlich eine gänzlich andere Funktion als in einem »echten« Bratschenkonzert, das sich durch ein Wechsel- spiel von Solist und Orchester samt gemeinsamer Weiterentwicklung auszeichnet. (Ein solches hatte sich wohl auch Niccolò Paganini vorgestellt, als er Berlioz ursprünglich den Kompositionsauftrag gegeben hatte; vom Ergebnis war er enttäuscht...)

Und so vollzieht sich in den folgenden Sätzen »Marsch der Pilger«, »Abendliches Ständchen« und »Gelage der Räuber« folgerichtig eine Entfremdung: Der durch die Bratsche verkörperte Künstler zieht sich immer weiter auf seine beobachtende Außenseiterposition zurück. Er begann zwar als eine Art Bergsteiger, doch das weltliche Treiben, das er dann erlebt, lässt ihn beinahe unberührt: Berlioz gelingt es meisterhaft, die Solostimme wie über dem Orchester schwebend einzusetzen.

Während die Bratsche in das Lied der Pilger noch gemeinschaftlich einstimmt, lässt sie das Ständchen, das ein junger Dorfbewohner seiner Liebsten darbringt, überraschend kalt. Es scheint vielmehr, als nehme sie die simplen Melodien nur zum Anlass, um in eigenen Erinnerungen zu schwelgen. Und das Finale mit den Räuber-Grobheiten kommt dann so wüst daher, dass sich der Hörer wohlig zusammen mit der Bratsche an vorige Erlebnisse erinnert und gänzlich der rauen Welt entflieht.

Hector Berlioz
Hector Berlioz

Historie

02.12.2018 - Himmelwärts

Sylvain Cambreling Dirigent

Timothy Ridout Bratsche

Werke von Schumann, Liszt und Berlioz