»Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny« Oper in drei Akten

Handlung

Das flüchtige Ganoventrio Leokadja Begbick, Dreieinigkeitsmoses und Fatty, der Prokurist, gründet auf einem trockenen Stück Wüste Mahagonny. Hier wollen sie den Männern, die von der Küste kommen, das Geld aus der Tasche ziehen. In der „Paradiesstadt“ soll keines ihrer Bedürfnisse unbefriedigt bleiben. Schon bald trifft die Prostituierte Jenny mit ihren Mädchen ein, um in dem aufblühenden Ort Geschäfte mit den ankommenden Männern zu machen. Unter diesen befinden sich vier aus Alaska angereiste Holzfäller: Jim Mahoney mit seinen Freunden Sparbüchsenbill, Alaskawolfjoe und Jakob Schmidt. Zwischen Jim und Jenny bahnt sich eine Beziehung an. In der Idylle führt jeder ein angenehmes Leben.

Doch die erste Krise kommt prompt. Langweile breitet sich aus, da die Preise fallen und die Vergnügungsangebote abnehmen. Jim will vor der Monotonie fliehen, doch seine Freunde halten ihn zurück. Als plötzlich ein Taifun die Stadt bedroht, lehnt sich Jim gegen Begbicks Gesetze auf und fordert im Angesicht des Hurrikans die Aufhebung aller Verbote. Nachdem die Gefahr an Mahagonny vorbeigezogen ist, gilt seine neue Maxime: Erlaubt ist alles, solange man bezahlen kann.

Jakob Schmidt frisst sich daraufhin zu Tode. Die Männer erkaufen sich Sex im Minutentakt. Beim Kampfboxen gegen Dreieinigkeitsmoses stirbt auch Joe. Weil er auf ihn gesetzt hat, verliert Jim sein ganzes Geld. Trotzdem lädt er alle zum Trinken ein. Als er seine Rechnung nicht bezahlen kann, inszeniert er eine imaginäre Flucht aus Mahagonny. Doch vergebens: Jim wird gefesselt und vor Gericht gestellt. Bill und Jenny weigern sich jedoch, ihm auszuhelfen. Während ein Mörder von der als Richterin fungierenden Begbick freigesprochen wird, erwartet Jim wegen Zechprellerei die Todesstrafe. In einer Einlage erscheint Gott, gespielt von Dreieinigkeitsmoses, und verdammt die Männer Mahagonnys zur Hölle. Aber die widersetzen sich. Nach Jims Hinrichtung brechen chaotische Zustände aus und die brennende Stadt geht unter.

Kurt Weill / Bertolt Brecht

Kurt Weill: geb. 2. März 1900 in Dessau, gest. 3. April 1950 in New York

Bertolt Brecht: geb. 10. Februar 1898 in Augsburg, gest. 14. August 1956 in Berlin

»Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny« Oper in drei Akten (Entstehungszeit: 1927-1929, Uraufführung: 9. März 1930 im Neuen Theater in Leipzig, Dauer: ca. 2 3/4 Stunden)

Eines der bekanntesten Zitate von Bertolt Brecht lautet: »Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so.« Es stammt nicht aus »Mahagonny«, sondern aus der »Dreigroschenoper«, aber das ist unerheblich. Wichtig ist der Grundton dieses Satzes. »Jeder Mensch möchte sein Recht sowie seinen Anteil am Kuchen der Gesellschaft haben – jedoch steht das System dem entgegen.« So ließe sich das Brechtsche Grundproblem anders beschreiben. Die Frage ist nur: Sehen wir das heute genauso? Wer von uns ist bereit zuzugeben, dass die Verhältnisse ihn formen? Sagen wir nicht andauernd: »Ich mache dies, ich mache das, ich verändere mein Leben.« Und gleichzeitig vertuschen wir, dass wir am System überhaupt nichts verändern können. Eine der großen Errungenschaften Brechts war es, dem Individualismus des 20. Jahrhunderts die »Verhältnisse« entgegenzusetzen. Doch irgendwie haben wir dies vergessen. Wie der Physiker und Philosoph Eduard Kaeser beschreibt, vertrauen wir gar blind, wo dies am stärksten von uns gefordert wird: Nämlich in der Finanzwelt, dem heute mächtigsten aller Systeme. Finanzwelt und Theater verlangten beide nach der Aufhebung des Zweifels, sagt Kaeser. Und was machen wir? Wir vertrauen einfach so drauflos. Obwohl wir eigentlich wissen, dass es in beiden Fällen absolut unangebracht ist.

In »Mahagonny« gibt es eine Protagonistin, der die Verhältnisse symbolisiert: Die Stadt. Nicht umsonst ist sie die Titelheldin. Die Stadt bietet Heimat und Vergnügen. Und sie verlangt Vertrauen und Einhaltung der Gesetze; das ist der Preis für das Paradies, das sich die Gründer ganz alttestamentarisch von dem Ort mitten in der Wüste erhoffen. Die Verhältnisse sagen also: Glaube an mich, tu, was ich Dir sage, dann bist Du frei, dann hast Du es gut. So simpel, so perfide. Kurz nach der Uraufführung schrieb Theodor W. Adorno: »Die Stadt Mahagonny ist eine Darstellung der sozialen Welt, in der wir leben [...] überhaupt nichts, was ein anderes bedeutete, als es selber ist: sondern die exakte Projektion der gegenwärtigen Verhältnisse [...]« Keine Utopie also. Eher die absurde Realität. Oder wie Brecht mit Blick auf die damaligen Aufführungstumulte sagte: »Die Skandale [...] entsprechen nur dem großen, tiefen und umfassenden Skandal, durch den sie [die Oper] selber erzeugt wurde.«

In diesem Zusammenhang spannend ist natürlich die Figur des Jim Mahoney. Denn ihm kommt die Rolle zu, alles zum Einsturz zu bringen: Er verliert all sein Geld, obwohl er selbst das Gebot ausgegeben hat, niemals pleite sein zu dürfen. Jemand ohne Geld darf nicht sein, also wird er hingerichtet. Es kommt zum Aufruhr, die Stadt geht unter. Ist Jim Mahoney also ein Revolutionär und Märtyrer, weil er die Verhältnisse zum Einsturz bringt? Nein, ein Freiheitsheld ist er gewiss nicht, dazu handelt er zu impulsiv. Viel zu sehr steht er selbst unter dem Einfluss der Stadt, viel zu wenig handelt er aus höheren Motiven. Sein Handeln ist dem Lustprinzip näher als der Revolte. Und die Anarchie, die sich am Ende Bahn bricht, ist nicht mehr als die Anarchie, die den Verhältnissen selbst zugrunde liegt; auch sie zeigt nicht den Weg auf zu einer utopischen Gegenwelt. – Eine Art Jim Mahoney unserer Zeit ist der Philosoph und Psychoanalytiker Slavoj Žižek: Er deckt auf, dass dem System, an das wir alle (verzweifelt) glauben, Anarchie zugrunde liegt. Denn was sollen wir tun, wenn – so eines von Žižeks Lieblingsbeispielen – sogar der Fair-Trade-Handel kapitalistisch vermarktet wird, indem Kaffeehausketten damit werben, »fairen« Kaffee zu verkaufen, um mehr Umsatz zu machen – um also die Bereicherung weiterzutreiben? Wieder Adorno: »Es gibt in Wahrheit, zumindest fürs deutsche Bewusstsein, keinen unkapitalistischen Raum.«

Dass dennoch eine Gegenwelt möglich ist, machen Weill und Brecht auf überaus kluge Weise deutlich: Sie laden uns ein zu misstrauen. Das Prägnanteste, was Weill während der »Mahagonny«-Entstehungszeit sagte, war: »Musik wirkt stärker als Worte. Brecht weiß das, und er weiß, dass ich es weiß.« Es kam, wie es kommen musste, die beiden stritten, welches Medium die Vorherrschaft haben sollte. Doch das Ergebnis ist ein Glücksfall: Wort und Musik passen nicht (immer) zusammen – übrigens ein fundamentaler Gegensatz zu Musicals. Der Zuhörer muss sich also fragen: Vertraue ich den Worten oder der Musik? Diese Verfremdungs-Frage bewirkt, dass er seine Haltung ändert. Er konsumiert (!) nicht mehr passiv, sondern arbeitet aktiv-gedanklich mit. Die vierte Theaterwand ist durchbrochen, das blinde Vertrauen unterminiert. – Und das Selbstverständnis der Symphoniker Hamburg als »denkendes Orchester« mit Leben gefüllt.

Bertolt Brecht über Skandale

Die Oper »Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny« hat, obwohl bei den verschiedenen Aufführungen ganz verschieden inszeniert, beinahe immer Skandale erzeugt. Gegen diese Skandale war nichts einzuwenden, soweit sie nicht auf primitiven Missverständnissen beruhten. Eines der hauptsächlichen Missverständnisse war das folgende: Die Freude (Unterhaltung, Erholung), die in der Stadt Mahagonny dargeboten wird, ist nur gegen Geld zu haben und wird in Form von Exzessen genossen. Viele glaubten nun fälschlicherweise, das Werk wende sich einzig und allein dagegen, dass die betreffenden Exzesse nur gegen Geld zu haben sind, das Werk sei also dafür, dass Exzesse möglichst umsonst zu haben sind, es sei also für Exzesse. In Wirklichkeit bemüht sich das Werk, wie schon die letzte große Demonstrationsszene beweist, gerade den Zusammenhang zwischen der Käuflichkeit von Freude (Unterhaltung, Erholung) und ihrem exzessiven Charakter aufzuzeigen. Die Skandale, die – bei richtigem Verständnis – durch die Oper »Mahagonny« erzeugt werden, entsprechen nur dem großen, tiefen und umfassenden Skandal, durch den sie selber erzeugt wurde.

(GBA 24, S. 86; zuerst im Programmheft der Berliner Inszenierung vom 21.12. 1931)

Kurt Weill: Anmerkungen zu meiner Oper »Mahagonny«

Schon bei meiner ersten Begegnung mit Brecht im Frühjahr 1927 tauchte in einem Gespräch über Möglichkeiten der Oper das Wort »Mahagonny« auf und mit ihm die Vorstellung einer »Paradiesstadt«. Um diese Idee, die mich sofort gefangennahm, weiterzutreiben und um den musikalischen Stil, der mir dafür vorschwebte, einmal auszuprobieren, komponierte ich zunächst die fünf »Mahagonny«-Gesänge aus Brechts »Hauspostille« und fasste sie zu einer kleinen dramatischen Form zusammen, einem »Songspiel«, das im Sommer 1927 in Baden-Baden aufgeführt wurde. Dieses Baden-Badener »Mahagonny« ist also nichts anderes als eine Stil-Studie zu dem Opernwerk, das, bereits begonnen, nun, nachdem der Stil erprobt war, fortgesetzt wurde. Fast ein Jahr lang arbeiteten Brecht und ich gemeinsam an dem Textbuch der Oper. Die Partitur wurde im November 1929 abgeschlossen.

Die Gattung »Song«, die in dem Baden-Badener Stück begründet und in späteren Arbeiten (»Dreigroschenoper«, »Berliner Requiem«, »Happy End«) weitergeführt wurde, konnte natürlich nicht allein eine abendfüllende Oper bestreiten. Es mussten andere, größere Formen hinzukommen. Aber immer musste der einfache, balladeske Grundstil gewahrt bleiben.

Der Inhalt dieser Oper ist die Geschichte einer Stadt, ihre Entstehung, ihre ersten Krisen, dann der entscheidende Wendepunkt in ihrer Entwicklung, ihre glanzvolle Zeit und ihr Niedergang. Es sind »Sittenbilder aus unserer Zeit«, auf eine vergrößerte Ebene projiziert. Diesem Inhalt entsprechend konnte hier die reinste Form des epischen Theaters gewählt werden, die auch die reinste Form des musikalischen Theaters ist. Es ist eine Folge von zwei abgeschlossenen musikalischen Formen. Jede dieser Formen ist eine geschlossene Szene, und jede wird durch eine Überschrift in erzählender Form eingeleitet. Die Musik ist hier also nicht mehr handlungstreibendes Element, sie setzt da ein, wo Zustände erreicht sind. Daher ist das Textbuch von Anfang an so angelegt, dass es eine Aneinanderreihung von Zuständen darstellt, die erst in ihrem musikalisch fixierten, dynamischen Ablauf eine dramatische Form ergeben.

Kurt Weill
Kurt Weill

Historie

27.05.2018 - Aufstieg und Fall

Konzertante Aufführung mit szenischen Elementen

Diverse Solisten

Weill »Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny« (Oper in drei Akten)