Ouvertüre zu »Szenen aus Goethes Faust«

Himmelwärts – diese Richtung ist heute eher ungewöhnlich. Früher baute man Türme, um Gott nahe zu sein. Man flog zum Mond, um Neuland zu erobern. Oder man strebte nach Höherem, um – als politische Metapher – die Gesellschaft zu verbessern. Doch derlei Ideen und Pläne gehören der Vergangenheit an. Wer heute Utopien entwirft, wird sofort von Realisten und Realpolitikern niedergerungen. Die einzigen, die heute himmelwärts streben, tun dies aus narzisstischen Motiven. (Siehe Trump, Erdogan, Putin und andere Möchtegern-Diktatoren im demokratischen Gewand.) Und wenn ein Staat den Fokus auf den Nationalgedanken legt, geschieht dies zum Zwecke der Abschottung und nicht etwa, um sich auf die kollektive Suche nach einem neuen Gesellschaftsmodell zu machen. (Siehe die Länder ebenjener Politiker.)

Auch in der Kunstwelt hat das Streben nach den Sternen – also nach Vollkommenheit – heute einen schweren Stand. Auf den Theater- und Opernbühnen dominiert das Fragment, das Unfertige, das Raue, das Offene genauso wie in der Literatur und der Malerei. Im Gegensatz dazu hat die symphonische Musik beinahe ein Alleinstellungsmerkmal: Im Konzertsaal erwartet man geradezu Erhabenheit. Musiker sollen stets nach Vollkommenheit streben. Nur das Perfekte scheint den Ansprüchen noch zu genügen.

In der Musikgeschichte gibt es zahlreiche Beispiele für Reflexionen des Himmelwärts-Strebens. Allein die Epoche der (Wiener) Klassik suchte ja stets nach dem perfekten, weil in sich runden und abgeschlossenen Werk. Und vor allem die Programmmusik des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts thematisierte das Streben nach Höherem des einzelnen Subjekts. Etwa Richard Strauss schuf mit »Eine Alpensymphonie« eine an Metaphern reiche Musik des Aufstiegs (sowie des unvermeidlichen Abstiegs). Sir Jeffrey Tate, der im Juni 2017 verstorbene ehemalige Chefdirigent der Symphoniker Hamburg, interpretierte diese Tondichtung in seinem letzten Konzert in der Laeiszhalle.

Sir Jeffreys Nachfolger Sylvain Cambreling greift den Faden nun gewissermaßen auf. Das heutige Konzert, Cambrelings zweites in neuer Funktion, trägt den Titel »Himmelwärts« und versammelt Programmmusiken aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, die das Streben nach Höherem vertonen. Alle drei Werke laden den Hörer ein zu einer Reise in luftige Höhen, in denen es mal euphorisch, mal einsam, mal melancholisch zugeht.

In Robert Schumanns »Szenen aus Goethes Faust« steht natürlich die oft als urdeutsch bezeichnete Figur des Faust im Mittelpunkt: Ein Mensch, ein Wissenschaftler, der nach dem Höchsten strebt. Einer, der sich erst zufriedengibt, wenn er das letzte Geheimnis durchdrungen hat – was ihm natürlich nie gelingt. Als ein Oratorium konzipiert, arbeitete Schumann über viele Jahre hartnäckig an dem Werk – als wollte er unbedingt Goethe widerlegen, der behauptet hatte, es sei »unmöglich« zu seiner zweiteiligen Tragödie Musik zu schreiben. (Was Schumann ironischer Weise gelang, war der Beweis, dass man dazu zumindest stilistisch sehr variantenreiche Musik schreiben kann, da sich seine persönliche Kompositionsweise im Laufe der Jahre deutlich veränderte.)

1853, am Ende des langen Arbeitsprozesses, entstand die mitunter sehr düstere Ouvertüre, in der ein Quartmotiv anklingt, das sich durch das gesamte Werk ziehen wird. Und vor allem das Auffahrende des Faustschen Charakters kommt immer wieder in den wilden Streicherstimmen zum Ausdruck. Keine Frage, hier kämpft der Strebende gegen starke Mächte, die ihm den Zugang zum Himmelswissen verweigern wollen.

Robert Schumann
Robert Schumann

Historie

02.12.2018 - Himmelwärts

Sylvain Cambreling Dirigent

Timothy Ridout Bratsche

Werke von Schumann, Liszt und Berlioz