Ach, Frankreich! Im Hamburger Herbst denkt man gern an unser Nachbarland mit seinem savoir vivre in lauen Sommernächten. Doch es hält nicht immer pures Glück bereit: Der virtuose Pole Frédéric Chopin starb dort viel zu früh in Folge von Überanstrengung. Gut, dass seine beiden Klavierkonzerte frühzeitig, noch kurz vor der Übersiedlung aus Warschau, entstanden. Natürlich saß der gerade einmal 20 Jahre alte Chopin selbst an den Tasten, als das e-Moll-Konzert 1830 in Warschau uraufgeführt wurde – schon zwei Wochen darauf brach er nach Paris auf. Doch es droht Verwechslungsgefahr bei der Zählung: Chopins etwa 40 Minuten langes »erstes« Klavierkonzert entstand eigentlich ein Jahr nach dem »zweiten« in f-Moll, dessen Notenmaterial auf einer Tournee verloren gegangen war und deshalb neu erstellt werden musste, so dass die Konzerte in vertauschter Reihenfolge publiziert wurden. Heute zählt dieses Werk aber ohne Zweifel zu den rund zwei Handvoll wirklich unsterblichen Klavierkonzerten der Musikgeschichte.
Zwar startet der erste Satz, das Allegro maestoso, mit einer ausführlichen Orchestereinleitung, in der drei Themen vorgestellt werden. Doch im weiteren Verlauf lässt das Orchester dem Solisten meist den Vortritt. Muss man deshalb von einem formalen Rückschritt gegenüber Beethoven sprechen? Gab Chopin die dialogische Struktur mutwillig auf oder war er nicht in der Lage, den Orchestersatz auf Augenhöhe mit dem Klavierpart zu gestalten? Klar ist, dass seine Konzerte, wie es in diesen Jahren üblich war, vor allem dazu dienten, dem Virtuosen eine Bühne zu geben. Und so bleibt das Orchester folgerichtig darauf beschränkt, Solopassagen zu »verbinden«. Bemerkenswert ist allerdings, dass dieses Jugendwerk – Chopin war erst 20 Jahre alt – keineswegs künstlerischer Bedeutung entbehrt und bis heute verzaubert.
Im Larghetto hören wir eine Art Nocturne, wenn die linke Hand eine Achtelgrundlage spielt und die rechte dazu singt. Dieser Satz ist voller Romantik und lässt bereits die Musik eines Debussy erahnen, wenn in hoher Lage kleine »impressionistische« Melodiefetzen erklingen. Doch natürlich verweilen wir nicht ewig in dieser verträumten Stimmung.
Denn der Virtuose braucht zum Abschluss eines Konzertes kräftigeres Material. Und so greift der dritte Satz mit klar akzentuierten Akkorden in das Geschehen ein. Tänzerisch-rauschhaft endet das Konzert.
27.10.2019 - Schwingflügelfenster: Martha Argerich
Jacek Kaspszyk Dirigent
Martha Argerich Klavier
Werke von Chopin und Brahms