Musik für Chor und Orchester ist in der Musikgeschichte zumindest bis zum Ende des 19. Jahrhunderts in der Regel geistliche Musik. Entsprechend stehen in dieser Saison dann, wenn die Symphoniker Hamburg und die EuropaChorAkademie zusammentreffen, meist Werke auf dem Programm, die kirchliche Texte als Basis haben. So auch im zweiten Teil dieses 1. Matinee-Konzertes: Nämlich Franz Schuberts fünfte und wohl bedeutendste Messe.
Wer im Januar dieses Jahres das Konzert der Symphoniker Hamburg in der Elbphilharmonie besucht hat, dürfte mit dem Text in Ansätzen vertraut sein: Er entspricht weitgehend dem der in etwa zeitgleich entstandenen »Missa solemnis« von Beethoven, also der Großen Messe der katholischen Liturgie. Allerdings gibt es einen wesentlichen Unterschied, der schon zu einer nahezu unüberschaubaren Anzahl an Interpretationen angeregt hat: Schubert verzichtet im Credo-Teil auf die Zeile »Credo in unam sanctam catholicam et apostolicam Ecclesiam.« (»Ich glaube an die eine heilige, katholische und apostolische Kirche.«) Manch andere kleine Textabweichungen leistete sich Schubert. Oft hatten sie ihren Grund in der musikalischen Struktur, der er stets die Führungsrolle einräumte: Wenn der Text nicht zu seiner Musik passte, musste er eben etwas verändert werden, nicht umgekehrt. Im Falle der zitierten »katholischen« Zeile war er sich jedoch offenbar sehr bewusst, wie schwerwiegend sein Eingriff war. Denn in allen seinen Messen verzichtete er ausdrücklich auf sie. Nun lässt sich deuten, er habe gewissermaßen ökumenische Werke schaffen wollen oder er habe sich dem damals virulenten Geist der Aufklärung annähern und deshalb gar eine von der Kirche entfernte Messe schreiben wollen. (Falls es eine solche überhaupt gibt.) Vielleicht war ihm die Zeile aber einfach persönlich unwichtig. Denn auch wenn er sich später unter anderem mit dieser Messe (vergeblich) auf die Stelle des Vizehofkapellmeisters in Wien bewarb, so hatte er sie ursprünglich aus freien Stücken ohne Auftrag komponiert und sich dafür fast drei Jahre Zeit genommen. Möglich also, dass er hier eher seinen eigenen privaten Glauben ausdrücken wollte anstatt dem kirchlichen Musikbetrieb nur ein weiteres Werk zur Verfügung zu stellen.
Die vermutlich von Schuberts Bruder Ferdinand 1823 uraufgeführte Messe besticht zudem durch einige musikhistorische Neuerungen, mit denen der Komponist über seine eigenen vorigen Messen hinausgeht. (Er sprach im Nachhinein vom »Streben nach dem Höchsten in der Kunst«.) So ist schon die Tonart As-Dur ungewöhnlich für eine Messe – die vier Vorzeichen widersprachen bis dato (genauso wie das E-Dur des Gloria- Teils) der Idee, den christlichen Worten eine möglichst »klare« Musik an die Seite zu stellen. Im ausgedehnten Credo wiederum macht sich der geübte Symphonien-Komponist bemerkbar: Schubert schuf hier Abschnitte, die durchaus als Exposition, Durchführung und Reprise, also als Teile der Sonatenhauptsatzform, durchgehen könnten. Und beispielsweise im sanften Kyrie arbeitete er unverkennbar mit der Gegenüberstellung von thematischen Material – ein Verfahren, das man ebenfalls aus Symphonien kennt.
Mit »Dona nobis pacem« (»Gib uns Frieden«) endet die Messe. Ob bei dieser Aufforderung Gott heuzutage noch immer der einzige Adressat ist, ist eine nur von jedem Einzelnen in seinem Inneren zu beantwortende – und durchaus politische Frage. (Ein Text von Olaf Dittmann)