Messe Nr. 6 Es-Dur für fünf Solisten, Chor und Orchester D 950

Entstehung: Juni bis Oktober 1828

Uraufführung: 4. Oktober 1829 unter der Leitung von Michael Leitermeyer

Spieldauer: ca. 55 Minuten

Wie religiös war Franz Schubert? Man könnte antworten: Lasst das Fragen und lieber seine Musik sprechen! Doch die biografischen Künstler-Details waren schon für viele Interpreten zu verlockend – eben aufgrund ihrer Widersprüchlichkeit. Manche Überlieferung lässt darauf schließen, dass er sich kaum zur kirchlichen Form des Glaubens bekennen mochte. Folgendes Zitat aus einem Brief an seine Eltern – geschrieben ein paar Jahre vor der Messe in Es – lässt aufhorchen: »Auch wunderte man sich sehr über meine Frömmigkeit, die ich in einer Hymne an die heil. Jungfrau ausgedrückt habe, und wie es scheint, alle Gemüther ergreift und zur Andacht stimmt. Ich glaube, das kommt daher, weil ich mich zur Andacht nicht forcire, und, außer wenn ich von ihr unwillkürlich übermannt werde, nie dergleichen Hymnen oder Gebete componiere, dann aber ist sie auch gewöhnlich die rechte und wahre Andacht.«

Ist er also ein nur spontan Glaubender, der erst aus seinem Inneren »übermannt« werden muss? Andererseits entstanden schon mit jugendlichen zwölf Jahren erste kirchliche Gesänge. Und immerhin schrieb er später nicht weniger als 39 geistliche Werke, darunter beispielsweise sechs vollständige lateinische Messen – also ein gewaltiges, Gott anrufendes Oeuvre für einen eigentlich ungläubigen jungen Mann, der ja sogar meist aus freien Stücken arbeitete, nicht wie manche seiner Vorgänger, die beinahe ausschließlich im Auftrag von Adligen Noten zu Papier brachten. Jedoch fehlt in sämtlichen dieser Messen die Zeile »et unam sanctam catholicam et apostolicam ecclesiam«. Besonders ernst scheint es ihm mit dem Glaubensbekenntnis (»Ich glaube an die eine heilige katholische und aspotolische Kirche«) also nicht gewesen zu sein. Oder? Selbst Johann Sebastian Bach, der Lutheraner, hatte diesen Satz in seiner h-Moll-Messe ja stehenlassen...

Vielleicht bringt es aber tatsächlich mehr Erkenntnis, die Musik sprechen zu lassen. Und die Klänge als Glaubensbekenntnis zu nehmen.

Mit den sechs Messen steigerte sich Schubert: Nach vier kleineren sind die beiden letzten groß und betont umfangreich gestaltet. Nur wenige Wochen vor seinem frühen Tod entstand das Es-Dur-Werk, welches vielen als seine beeindruckendste geistliche Komposition galt und gilt. Zwischen Juni und Oktober 1828 arbeitete Schubert daran, aber ebenso wie viele andere seiner Werke hörte er es niemals in voller Pracht – gewissermaßen nur mit dem inneren Ohr. Denn erst ein Jahr später brachte Michael Leitmeyer die sechste Messe in der Alserstädter Pfarrkirche Heilige Dreifaltigkeit zur Uraufführung. Nach einem großen Starterfolg geriet das Werk dennoch in Vergessenheit, bis Johannes Brahms in den 1860er-Jahren eine Drucklegung veranlasste.

Was macht die Musik aus? In erster Linie die Dominanz des Chors: In den beiden ersten Teilen »Kyrie« und »Gloria« spielen die Solisten – obwohl im Tenor sogar doppelt besetzt – gar keine Rolle. Und das Orchester, in dem übrigens die Flöten komplett fehlen, hat oft eine eher begleitende Funktion. In vielen anderen Messen ist das »Credo« an dritter Stelle, also das an Text umfangreiche Glaubensbekenntnis, der zentrale Fixpunkt. Doch in diesem Werk lässt auch das »Sanctus« staunen: Mit viel Demut sowie ebenso vielen Modulationen und Dynamikwechseln gestaltet Schubert die Anrufung des heiligen Gottes.

Bemerkenswert ist zudem das »Agnus Dei« im Dreivierteltakt am Schluss. Hier zitiert sich Schubert selbst, indem er ein Motiv des Liedes »Der Dop- pelgänger« aus der Liedersammlung »Schwanengesang« nutzt. Zu den Zeilen »Christe, Du Lamm Gottes, der du trägst die Sünde der Welt, erbarme dich unser« erklingt also Musik, die einst Worten von Heinrich Heine gegolten haben: »Du Doppelgänger, du bleicher Geselle! / Was äffst du nach mein Liebesleid, / das mich gequält auf dieser Stelle / so manche Nacht, in alter Zeit?« Aber auch dies mag natürlich Zufall sein – und keine Antwort geben können auf die Frage nach Schuberts Religiosität. Der Schluss, so viel ist zumindest sicher, bringt die musikalische Erlösung: »Dona nobis pacem« – gib uns Frieden.

Franz Schubert
Franz Schubert

Historie

17.02.2019 - Liturgische Monumente

Sylvain Cambreling Dirigent

Paulina Boreczko-Wilczyńska, Joanna Bortel, Patrick Grahl, Daniel Jenz, Jarosław Bręk, EUROPA CHOR AKADEMIE GÖRLITZ

Werke von Szymanowski und Schubert