Symphonie Nr. 4 c-Moll D 417 – »Tragische«

Darf ein 19-Jähriger »tragische« Kunst schaffen? Ältere meinen ja oft, erst im Laufe der Jahrzehnte erschließe sich die ganze Tragik des Lebens. Aber erinnern wir uns einmal an die Jugendzeit: Traf uns damals nicht die Lebenstragik ebenso – oder sogar noch viel mehr – mit voller Wucht? Antonín Dvořák erinnerte sich schließlich auch noch als mittelalter Mann an eine unerfüllte Jugendliebe (siehe vorige Seite). Und Franz Schubert, der seiner vierten Symphonie den Untertitel »Tragische« verpasste, war eine durchaus sensible Person, ein äußerst gefühlvoller Liedkomponist. Warum sollte er nichts Tiefes, ja Schmerzliches in Symphonieform zu Papier bringen können?

Allerdings monierten andere Komponisten und Kritiker, er sei der selbstgestellten Aufgabe nicht gewachsen gewesen und man könne kaum von echt empfundener und ausgearbeiteter Tragik sprechen. Vielleicht war es tatsächlich etwas übermütig, dass Schubert nicht nur diesen Untertitel sondern auch die Grundtonart c-Moll wählte. Denn bekanntlich hatte auch Beethoven seine fünfte, die Schicksalssymphonie in dieser Tonart geschrieben. Ein Vergleich mit dem übermächtigen Meister liegt also nahe. Dabei fällt auf: Während Beethoven meist den Boden für musikalische Entwicklungen bereitete, setzte Schubert auf (hier und da variabel gestaltete) Wiederholungen. Aber muss das schlecht sein? Steht das dem »tragischen« Ausdruck im Wege?

Mit einer für Schubert bis dato ungewöhnlich langen Einleitung im Adagio molto (sehr langsam) beginnt der erste Satz, dessen zwei ähnlich gebaute Themen rhythmisch auffällig mit Synkopen gestaltet sind. Ist dies der Versuch, Tragik auszustellen? Wie auch immer – Schubert gelingt es, dem musikalischen Material Gewicht zu verleihen, so dass der strahlende Satzschluss wie eine freundliche Erlösung erscheint. Es folgt ein Andante, das ein zartes, lyrisches Thema im 2/4-Takt bereithält. Jedoch sorgt Schubert mit zwei Brüchen in Moll für eine dunkle Einfärbung. An dritter Stelle dann traditionsgemäß ein Menuett: Im 3/4-Takt lässt Schubert aufhorchen, indem er den beinahe etwas verspielten Charakter mit chromatischen Ausschmückungen würzt. Enthalten ist in diesem dritten Satz auch ein Trio, das zum Tanz einlädt.

Mit einem vergleichsweise feurigen Allegro schließt die Symphonie; hier sind Vergleiche mit Beethoven angebracht. Denn Schubert versucht sich ähnlich wie der Bonner in manchen seiner Werke an einem »Per aspera ad astra« – frei übersetzt: Vom Dunkel zum Licht. Aus c-Moll wird hier C-Dur. Und das allgegenwärtige Thema mit den an einen Triller erinnernden Achteln leitet schließlich über zu wuchtigen, heiter stimmenden Schlussakkorden.

Nach der späten Uraufführung lautete das versöhnliche Urteil der »Neuen Zeitschrift für Musik«: »Namentlich will uns der letzte Satz in seiner lodernden Leidenschaftlichkeit als der bedeutendste erscheinen, wo sich der Komponist auch mehr von dem Einflusse Haydns und Mozarts emanzipiert. [...] Wir freuen uns unendlich, ein Werk kennengelernt zu haben, dass bedeutsam ist in der Entwicklung Schuberts.« Dennoch ereilte diese Symphonie dasselbe Schicksal wie alle frühen Schubert-Symphonien: Sie gelten gemeinhin als Fingerübungen. Erst mit der »Unvollendeten« und der »Großen C-Dur« wird der viel zu früh Verstorbene ernst genommen. Wie wir gehört haben: Womöglich ein Fehler.

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