Wie verhält es sich mit Igor Strawinsky? Die eher frühen und geradezu eruptiven Arbeiten für die Ballets-Russes-Kompanie wie »Der Feuervogel« und »Das Frühlingsopfer« zeigen ihn als einen der wirklich wesentlichen Neuerer der Musikgeschichte. Und so ist er noch heute präsent: als aufregender Revolutionär. Doch auch er blieb nicht unbeeinflusst vom damaligen Stilpluralismus. Sein 1931 in Berlin uraufgeführtes D-Dur-Violinkonzert überrascht mit manchen Rückblicken und Stilimitationen vergangener Jahrhunderte.
Genaugenommen übersprang er in seiner musikalischen Nostalgie das die europäische klassische Musik bis heute so dominierende 19. und wandte sich bewundernd dem 18. Jahrhundert zu, so legen es zumindest die barocken Satzbezeichnungen nahe. Und doch bietet das Konzert weit mehr als Imitation, nämlich eine bewusste, mitunter verschmitzte Auseinandersetzung mit all jenen, die als Strawinskys (Ur-)Ahnen im Bereich des Solistenkonzerts gelten können.
So versammeln sich unter der an Tradition reichen Bezeichnung »Toccata« manche originelle Formenspiele. In den beiden »Aria« genannten Mittelsätzen nimmt sich Strawinsky Raum für eine Art musikalisches Gespräch mit Johann Sebastian Bach. Und im abschließenden »Capriccio« lässt er der übermütigen Spielfreude trotz barocker Anmutung freien Lauf. Unterm Strich ist dieses Violinkonzert ein auf den ersten Blick barockes, mitunter handfestes Virtuosenstück, in dem aber Harmonien und rhythmische Kontraste, die unverkennbar der Moderne entstammen, für manche wertvolle Überraschung sorgen.
23.01.2022 - Romantische Dämmerung
Sylvain Cambreling, Guy Braunstein
Werke von Bartók, Strawinsky und Tschaikowsky