Igor Strawinskys Psalmensymphonie, geschrieben 1930 und überarbei- tet 1948, ist aufführungsgeschichtlich eines der bedeutendsten geistlichen Musikwerke des 20. Jahrhunderts. Dabei entzieht sie sich klassischen Gattungszuschreibungen: Das dreisätzige Werk ist für Chor und Orchester ohne Geigen und Bratschen, dafür mit größerer Schlagwerk- und Bläserbesetzung geschrieben. Ungewöhnlich auch die Schlusssatz-Lastigkeit: Dem etwa dreiminütigen Kopfsatz stehen der über zehnminütige dritte Satz gegenüber. Dabei wies auch Strawinsky selbst darauf hin, keine Symphonie aus Psalmen, sondern umgekehrt quasi symphonisierte Psalme geschrieben zu haben – vielleicht auch, um nicht unnötig mit der großen symphonischen Tradition belastet zu werden.
Auf Grundlage der Psalmen 38, 39 und 150 des Alten Testaments schuf Strawinsky ein kontrastreiches Werk, dessen für Strawinsky typische rhythmische Muster sich mit langgestreckten Gesangslinien zu kraftvollen Motiven addieren, die die leuchtende Nähe des Paradieses deutlich fühlbar ausstrah- len. Während der erste Satz meditative Glaubensrezitationen aufweist, verarbeitet der zweite Satz die Bibelverse derart kontrapunktisch, dass der Musikwissenschaftler Wolfram Goertz konstatierte, Strawinsky »zertrümmerte die Psalmentexte, als hätte er sie in einem Steinbruch gefunden«. Der Satz ergründet und sucht nach Antworten auf die Fragen der Gläubigen: Vortastend, still leidend, gar zweifelnd, wird die Gemeinde schließlich von Gott erhört, als er sich ihnen zuwendet. Der Schlusssatz gelangt nach aufregen- dem Verlauf zu einem ruhigen und hymnischen Lobgesang auf den Herrn, der die stille Verehrung und äußerlich prachtvolle Lobpreisung Gottes ver- lauten lässt. Dieser lässt den Zuhörer fasziniert, ja fast erleichtert zurück –
ein würdiger Abschluss für einen Konzertmorgen im Zeichen des Glaubens.
03.11.2019 - Fensterkreuz: Mozart, Tschaikowsky, Szymanowski, Strawinsky
Sylvain Cambreling, Aïcha Redouane und Habib Yammine (Ensemble Al-Adwâr), EUROPA CHOR AKADEMIE GÖRLITZ