Natürlich zeichnete den 1881 geborenen Ungarn Béla Bartók eine Nähe zur Zweiten Wieder Schule aus; zugleich sind seine Bezüge zur Volksmusik seiner Heimat deutlich spürbar; und wer nur seine Klaviersammlung »Mikrokosmos« kennt, ordnet dem Namen Bartók ganz eigene, kaum einer Tradition verpflichtete Klänge zu. Kurz: Sein Œuvre sorgt für Überraschungen – die noch rund 100 Jahre zuvor durchaus ungewöhnlich gewesen wären. (Den in jeder Hinsicht besonderen Beethoven einmal außen vor gelassen.)
Wer also beim Namen Bartók beispielsweise an den Uraufführungsskandal von »Der wunderbare Mandarin« denkt, bei dem ein gewisser Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer einst eine Zensurwächterrolle spielte, dürfte von der Tanz-Suite, die wenig von Schönberg und viel mehr von mannigfaltigen osteuropäischen Klängen weiß, überrascht werden. Er selbst beschrieb das 1923 anlässlich eines städtischen Festakts in Budapest uraufgeführte Stück: »Ziel des ganzen Werks war es nämlich, eine Art ideal erdachter Bauernmusik, ich könnte sagen, erdichtete Bauernmusiken nebeneinanderzustellen, sodass die einzelnen Sätze bestimmte musikalische Typen darstellen: ungarische, walachische, slowakische und auch arabische, zuweilen kam es sogar zur Überschneidung dieser Arten.«
Diese Beschäftigung mit Bauernmusik, die sich keineswegs auf das Heimatland beschränkte, sondern den Blick erstaunlich weit darüber hinaus schweifen ließ, ist gewiss kein Nebenaspekt in Bartóks Schaffen. Und in der Gesamtschau ergibt sich eine erstaunliche Parallele zwischen den Versuchen im Stil der verkopften Zweiten Wiener Schule und dieser Art bodenständiger Volkstümlichkeit: Beide wiesen nämlich auf ihre jeweils eigene Art einen Ausweg aus der als Sackgasse empfundenen Tonalität des vorigen (berechenbareren) Jahrhunderts.
23.01.2022 - Romantische Dämmerung
Sylvain Cambreling, Guy Braunstein
Werke von Bartók, Strawinsky und Tschaikowsky