Cellokonzert Nr. 1 Es-Dur op. 107

Schon als 15-Jähriger studierte Mischa Maisky am Moskauer Konservatorium. Dort wurde 1963 niemand Geringeres als Mstislaw Rostropowitsch sein Lehrer – und zugleich zu einem väterlichen Freund und Mentor. Jener große Rostropowitsch regte zahlreiche Komponisten zur Schöpfung von Werken mit Beteiligung des Violoncellos an, beispielsweise Prokofjew, Chatschaturjan, Lutosławski, Dutilleux, Bernstein, Boulez und Schnittke. Und nicht zu vergessen: die beiden Cellokonzerte von Dmitri Schostakowitsch aus den Jahren 1959 und 1966. Nach den Cellokonzerten von Dvořák und Elgar gehört das erste – vielleicht gleichauf mit den beiden Konzerten Haydns – zu den am häufigsten gespielten Werken dieser Gattung.

Es wurde im Oktober 1959 im Großen Saal der Philharmonie Leningrad mit Mstislaw Rostropowitsch als Solist und den Leningrader Philharmonikern unter der Leitung von Jewgeni Mrawinski uraufgeführt. Ikonisch lässt Schostakowitsch hier zwei Haupteigenschaften seiner musikalischen Sprache anklingen: seinen sarkastischen Humor – und dazu im Kontrast: eine große, expressive, aufreibende Innerlichkeit.

Der Beginn des Konzerts präsentiert uns seine humorvoll-bissige Seite. Mit den ersten vier Tönen des Solisten bringt der Komponist eine Variante seines eigenen musikalischen Monogramms (die Töne D-(e)S-C-H = Dmitri Schostakowitsch) ins Spiel. Darauf antwortet das Orchester jeweils mit marschartigen und ebenso kauzigen Kommentaren. Der scharf- kantige Humor Schostakowitschs lässt dabei immer wieder das im Grunde zutiefst unzu- friedene Individuum hinter der »lustigen Verpackung« erkennen.

Ganz anders der zweite Satz. Trauernde, durchaus dissonante Streicher bereiten ein verhaltenes, leises Hornsolo vor – bevor schließlich das Cello seinen ganz eigenen Trauergesang anstimmt. Kein (Selbst-)Mitleid, sondern eine Klage voller Bitterkeit – ohne Licht, ohne verdammte Hoffnung. Aus der stillen Betrübnis heraus bäumt sich der Solist gemeinsam mit dem ganzen Orchester bald immer weiter auf, wehrt sich gegen die Einsicht, machtlos zu sein, sich aus der Nötigung befreiend, gefesselt den eigenen Lebensfilm hilflos mit anschauen zu müssen. Am Ende verbleiben säuselnde, zerbrö- selnde Klänge des orientierungslosen Individuums – »verkörpert« durch den Solopart. Hohe Streicher irren ziellos umher, irgendetwas umspielend; hinzu kommt die Celesta. Das Kinderweinen eines Erwachsenen ...

Im dritten Satz, der »Cadenza«, erlöst sich das Cello als Individuum quasi selbst aus seinem eigenen Dornröschenschlaf; ganz alleine – sich be- und hinterfragend. Höchste Höhen, hauchzart dahin gezupfte Fragezeichen. Langsam kommt man wieder zu sich, lässt sonorere Töne erklingen. Doch später wird das Cello beinahe an sich selbst wahn- sinnig, stellt Fragen – und kann sie doch nur exzentrisch beantworten. Dann setzt der vierte Satz übergangslos ein. Das Orchester nimmt die Wut der Solocello-Passagen zunächst auf, bringt aber mehr und mehr virtuose, »triumphierende« Elemente ins Ge- schehen ein. So kehrt kurz vor Schluss die prägnante Thematik des Beginns wieder, aber jetzt durch zahlreiche Nebenkommentare ergänzt – quasi der erste Satz durch die Brille anderer Erfahrungen beleuchtet ... Ein Pseudo-Triumph. Kein fröhlicher Tanz, nirgends.

Dmitri Schostakowitsch
Dmitri Schostakowitsch

Historie

04.12.2022 - Tanzendes Glück

 Antrittskonzert der neuen Ersten Gastdirigentin!  – Han-Na Chang, Mischa Maisky – Werke von Rossini, Schostakowitsch und Beethoven