Symphonie Nr. 10 e-Moll op. 93

Entstehung: Juli bis Oktober 1953

Uraufführung: 17. Dezember 1953 in Leningrad

Spieldauer: ca. 55 Minuten

Tiefe, nahezu drohende Streicherklänge entführen uns nach der Pause in unheimlichere Welten: Es dauert einige Takte, bis sich aus der um sich selbst kreisenden Figur Bewegungen ergeben, bis der Tonumfang wächst. Ein Moderato-Satz voll düsterer Erhabenheit und wilder Ausweglosigkeit. Warum?

Was bei Tschaikowsky nicht immer angemessen ist – das Deuten der Musik aus der Komponisten-Geschichte heraus – ist bei Schostakowitsch nahezu unerlässlich. Unter welchen Eindrücken entstand also seine Zehnte? Acht Jahre lang hatte er keine Symphonie zu Papier gebracht. Erst kurz nach Stalins Tod machte er sich wieder an die Arbeit.

Mit der Willkür des Totalitarismus kam Schostakowitsch, der mit 19 seine umjubelte erste Symphonie präsentierte, ja schon in jungen Jahren in Kontakt. 1936 hatte er zwei Jahre lang große Erfolge mit seiner zweiten Oper »Die Lady Macbeth von Mzensk« gefeiert, als nach einem Opernbesuch Stalins in der Prawda unter der Überschrift »Chaos statt Musik« ein Artikel erschien, der dem Werk von heute auf morgen das Genick brach. Und 1948 wurde er im Rahmen antiformalistischer Säuberungen seiner Lehrämter enthoben.

Sein Opus 93 war dann in erster Linie ein Porträt des Diktators, der dem wohl wichtigsten Komponisten der Sowjetunion die Arbeit überaus schwer gemacht hatte. Und zwar ein zutiefst dunkles, tragisches Porträt: Natürlich ist es kein Zufall, dass Schostawitsch gleich mehrfach Bezug nimmt auf die 80 Jahre zuvor entstandene Oper »Boris Godunow« von Modest Mussorgsky. Denn der gleichnamige Zar war um 1600 ein brutaler Ursurpator, und schon im ersten Satz übernimmt Schostakowitsch ausgerechnet Teile des Wahnsinns-Themas aus Mussorgskys Werk.

Das folgende Allegro ist kurz – ein kürzeres Scherzo findet sich bei Schostakowitsch nicht. Aber es ist ungeheuer ausdrucksstark: Diesen zweiten Satz als persönliche Abrechnung des Komponisten mit Stalin zu verstehen, ist keineswegs falsch; sein Sohn Maxim meint, er beschreibe »das schreckliche Gesicht Stalins«. Das erste Thema entstammt ebenfalls dem »Boris Godunow«. Stampfend und zugleich äußerst gehetzt entwickelt dieser Satz einen gewaltigen Sog. Das ist Musik gewordener Schmerz.

Sehr persönlich wird es dann im Allegretto. Zum einen benutzt Schostakowitsch hier die Tonfolge seiner Initialen D-Es-C-H und zum anderen wieder ein Zitat aus »Boris Godunow«: In diesem Falle mit Bezug auf die Figur eines Mönches, der verkündet, »dass Russland sich einen Mörder zum Herrscher erkor«. (Außerdem setzt Schostakowitsch mit einer weiteren Tonkombination seiner geliebten Schülerin Elmira Nasirova ein Denkmal.)

Und schließlich das finale Allegro, dem eine düstere Andante-Einleitung voransteht. Nach den langsamen Takten erklingt eine Art Tanzmusik, vergleichsweise heiter geht es zu. Doch dann bricht das aus dem zweiten Satz bekannte Thema ein – Stalin lässt keine Freude zu. Wenn das D-Es-CH-Motiv diese Symphonie triumphal beschließt, ist dies wohl kein Zeichen für einen übersteigerten Narzissmus des Komponisten. Sondern eher für die Kraft der Musik: Sie besiegt die Unterdrückung. Zumindest symbolisch.

Dieses Werk wird gespielt von folgendem Künstler

Dmitri Schostakowitsch
Dmitri Schostakowitsch

Historie

09.10.2016 - Monumente

Dirigent: Marcus Bosch

Klavier: Yevgeny Sudbin

Dieses Werk erklingt in folgendem Konzert

3. VielHarmonie-Konzert

3. VielHarmonie-Konzert

Han-Na Chang – Schostakowitsch 10.

Laeiszhalle Hamburg, Großer Saal

Han-Na Chang, Boris Giltburg – Werke von Mozart und Schostakowitsch


Do, 30.01.2025 19:30 Uhr