Nicht weniger als fünfzehn Symphonien schrieb Dmitri Schostakowitsch zwischen 1925 und 1971, die letzte aufgrund von »Ärger mit meinem Herzen« teilweise sogar im Krankenhaus. Mit dieser 15. Symphonie hinterließ er einen eindringlichen Rückblick auf ein Komponistenleben voller Höhen und Tiefen – und außerdem einen nostalgischen Streifzug durch die Musikgeschichte: Er zitiert nicht nur aus vielen eigenen Werken, sondern auch andere Kompositionen, darunter Wagners »Tristan und Isolde«-Vorspiel. Vordergründig trägt die Symphonie zwar sehr unbeschwerte Züge, doch das ist trügerisch – am Ende tickt die Bewegung wie ein ablaufendes Uhrwerk aus.
Mit der Willkür des Totalitarismus kam Dmitri Schostakowitsch schon in jungen Jahren in Kontakt. 1936 hatte der 30-Jährige zwei Jahre lang große Erfolge mit seiner Oper »Die Lady Macbeth von Mzensk« gefeiert, als nach einem Opernbesuch Stalins in der Prawda unter der Überschrift »Chaos statt Musik« ein Artikel erschien, der dem Werk von heute auf morgen das Genick brach.
Die Frage nach dem Verhältnis von Individuum und Gesellschaft im sozialistischen Realismus, von Politik und Kunst und von Form und Gefühls-Inhalt sind in Dmitri Schostakowitschs Werk stets gegenwärtig – manche Themenverarbeitung basiert formal gar auf der Marx-Engles-Lehre des dialektischen Materialismus. 1948 verlor er in der ideologisch geführten Formalismus-Debatte seine Lehrämter, in der Folge versuchte er, sich an dem sozialistischen Ideal einer klassisch-romantischen Ästhetik zu orientieren. Und obwohl nach Stalins Tod 1953 eine politische Tauwetter-Periode einsetzte, die avantgardistische Kunstbestrebungen eigentlich wieder ermöglichte, war Schostakowitschs Verhältnis zur Gesellschaft kaum widerspruchsfrei.
Welchen Charakter hat vor diesem Hintergrund nun dieser rätselhafte erste Satz der Fünfzehnten? Melancholie, Erinnerungs-Spaß oder bitterer Sarkasmus? Schwer zu sagen. In diesem Allegretto verarbeitet Schostakowitsch Material aus seinem Frühwerk – oder auch aus Rossinis »Wilhelm Tell«. Ein paar Jahre vor seinem Tod 1975 zieht er somit Bilanz, und das Ergebnis ist keinesfalls eine vor Glück strotzende Biografie. Das macht auch der zweite Satz deutlich. Dieses Adagio ist ein echter Trauermarsch, der eben- falls gespickt ist mit Eigenzitaten – fast so, als trübe der Geist des alten Mannes die Erinnerungen zusätzlich ein.
Ohne Pause geht es weiter mit dem dritten Satz, erneut ein Allegretto. Manche hübschen Violinsoli schmücken ihn, doch auch hier huschen alte Geister vorbei. Und das finale Adagio, in dem nicht nur Wagners Tristan, sondern auch dessen Ring anklingt, bietet dem Tod eine große Bühne. Zwar lernen wir ein tatsächlich schönes, gesangliches Thema kennen. Und auch das (ehrlich gemeinte) Pathos kommt nicht zu kurz. Doch das Ende ist unheimlich: Die Tonalität verschwimmt, das Schlagwerk klappert wie im Totentanz. Hätte Schostakowitsch die Wende in Osteuropa noch erlebt, wäre diese Beschreibung seines Lebens (und des 20. Jahrhunderts) womöglich positiver ausgefallen. So bleibt uns Zuhörern aber ein Schrecken in den Knochen.
26.01.2020 - Wendefenster: Wagner, Bartók, Schostakowitsch
Andris Poga Dirigent
Elena Bashkirova Klavier