Der im Gängeviertel, also in großorchestraler Hörweite der Laeiszhalle, aufgewachsene Johannes Brahms (der erste Ehrenbürger Hamburgs aus dem Musikbereich) hatte mit seiner dunklen ersten Symphonie, die ihm mit Blick auf den übermächtigen Beethoven so unendlich schwergefallen war, gerade Erfolge gefeiert, als er im Sommer 1877 im schönen Pörtschach am Wörther See die Inspiration für seine Zweite sammelte – welche er innerhalb kurzer Zeit zu Papier und zur Wiener Uraufführung brachte. Der Erfolg war auch hier dem nicht mehr ganz jungen, aber noch nicht alten Deutschen sicher. Doch was ist dieses »liebliche Ungeheuer« (O-Ton Brahms) nun eigentlich für ein Werk?
Nehmen wir den Komponisten beim Wort: »Die neue Symphonie ist so melancholisch, dass Sie es nicht aushalten«, schrieb er an seinen Verleger Fritz Simrock. »Ich habe noch nie so was Trauriges, Molliges geschrieben: die Partitur muss mit Trauerrand erscheinen.« Meint er das ernst? Zweifel sind angebracht, denn dem Kritiker Eduard Hanslick schrieb Brahms durchaus Gegenteiliges: Die Zweite sei »so heiter und lieblich, dass Du glaubst, ich habe sie extra für Dich oder gar Deine junge Frau geschrieben! Das ist kein Kunststück, der Wörther See ist ein jungfräulicher Boden, da fliegen die Melodien, dass man sich hüten muss, keine zu treten.« Welcher Aussage auch immer Brahms letztlich mehr Gewicht beimaß – die zweite Symphonie gilt seit Beginn an als Gegenstück zur Ersten. Ähnlich wie Beethoven nach der oben bereits erwähnten Schicksalssymphonie die liebliche »Pastorale« mit der Nummer sechs schrieb, konterkarierte Brahms hier den Eindruck seiner Ersten. Wir hören also eine Feier des österreichischen Sommers, der Heiterkeit, des Lebens an sich.
Doch sollte man dahinter keine simple Machart vermuten. Wie so oft muss die Schönheit hart erarbeitet werden; die Mittel, die Brahms einsetzt, sind komplex. Es lohnt sich der Blick auf die ersten D-Dur-Takte im Dreivierteltakt: Nach einer Wechselnote in den tiefen Streichern schält sich in den Hörnern ein Motiv aus einer halben und einer Viertelnote heraus, das als aufsteigende Terz oder als abfallende Quinte auftaucht. Über acht Takte ergibt sich daraus eine Liedphrase. Und diese ist die Keimzelle alles Folgenden, sogar der gesamten Symphonie. Der erste Satz endet mit einem Zitat des Liedes »Es liebt sich so lieblich im Lenze«, das Brahms kurz zuvor geschrieben hatte.
Diese zurückhaltende Stimmung findet sich dann auch im folgenden Adagio non troppo – dem einzigen echten Adagio in allen vier Brahms-Symphonien. Dieser zweite Satz verdient vielleicht am ehesten das oben zitierte Brahms’sche Adjektiv »melancholisch«. Es folgt ein heiteres Allegretto grazioso mit einem in der Oboe vorgestellten Ländlerthema und – für die Form-Feinschmecker – mit einem fünfteiligen Rondosatz. Im finalen Allegro con spirito schließlich führt Brahms die Arbeit mit dem immer noch nicht verbraucht wirkenden Ausgangsmaterial unbeirrt fort. Hier herrscht purer Optimismus, großer musikalischer Jubel dominiert den geradezu enthemmten Schluss.
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