Richard Strauss schrieb nur eine Violinsonate – und das bereits als 23-Jähriger. Doch sein opus 18 in Es-Dur ist ein dreisätziger Geniestreich, das im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts als virtuos geistreiches Stück die bis dato geltenden Grenzen des Genres in musikalischer Farbigkeit zu überwinden wusste. Schon die Eröffnung des Allegro ist von einer ungewöhnlichen Breite und Tiefe – weist sie doch zwei Haupt- und zwei Seitenthemen auf. Das erste Thema in Es mit seiner drängenden Triolen-Arabeske wird in 20 Takten im Vierertakt ausgemalt, bevor ein lyrisches Seitenthema die Legatolinie nach unten führt. Anschließend bestimmt wieder das hauptthematische Kopfmotiv die Linie, die dann von einem walzerartig singenden Seitenthema in c-Moll abgelöst wird. Doch der Dreiertakt hält nicht lange an, denn das zweite Hauptthema schiebt sich als Dreiklang in Dur-hellem Vierertakt und Höhenlage in den Vordergrund. Diese vier Themenaspekte – Triolen-Arabeske, absteigende Legatolinie, Walzer und Dur-Gesang – werden zu einem dichten Netz der Motive verknüpft, das in der Coda virtuos zusammengeschnürt wird. Der zweite Satz lässt den musiktheatralen Komponisten erahnen, weist der Titel »Improvisation. Andante cantabile« doch auf die Illusion von plötzlich erfundenen Themen hin – Lieder, denen nicht nur die Worte fehlen, sondern die con sordino gedämpft werden. Nach einer düsteren Klaviereinleitung in es-Moll strahlt der Finalsatz fortan in Es-Dur: Klavier und Violine finden sich in einem fast schon erotischen Rausch zusammen, der in chromatischen Modulationen und Aufschwüngen ebenso Octavians Liebe zur Marschallin im »Rosenkavalier« wie den symphonischen »Don Juan« des Komponisten vorwegnimmt.
26.06.2022 - Argerich & Capuçon
Martha Argerich, Renaud Capuçon, Yuzuko Horigome, Akane Sakai, Mauricio Vallina
Werke von Bach, Strauss, Liszt und Franck