Eine schmerzliche Folge des zurückliegenden halben Jahres ist, dass uns der Andere fremder wurde. Der Austausch mit einem Gegenüber, das potenziell gefährlich, weil infektiös erscheint und sich uns oft nur halb verschleiert zeigt, wurde beschwerlicher. Es gilt, neue Grenzen zu über- winden, wenn wir uns in Empathie, Erkennen und gemeinsamem Erleben üben wollen.
Nun gilt ja die klassische Musik oft als eine dialogische Kunst. Komponisten lassen eine Instrumentengruppe der anderen »antworten« oder in Symphonien gegenläufige Themen in Austausch und Konkurrenz treten. Vor allem in kleinbesetzter Kammermusik scheinen mitunter solistische »Redner« sich Gehör zu verschaffen. Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791) gelang mit seiner Sinfonia concertante für Violine und Viola ein Werk, das alles dies gleichermaßen beinhaltet, denn wie der Name sagt, handelt es sich um eine Mischform zwischen Symphonie und Konzert. Wenn wir ihr heute Abend zur Saisoneröffnung lauschen, erfahren wir, was einen echten Dialog – ohne Angst, ohne Maske, mit viel Respekt – ausmacht.
Mit Anfang 20, von der langen Mannheim-Paris-Reise, während der seine Mutter starb, nach Salzburg zurückgekehrt und als Hoforganist tätig, machte sich Mozart im Sommer 1779 mit der ehrerbietigen Tonart Es-Dur im Gepäck an die Arbeit. Gar nicht unüblich war die solistische Besetzung dieser Sinfonia concertante, Ähnliches hatte Mozart auch auf seiner Reise gehört, doch geht er in dieser halben Stunde sehr besondere Wege, jenseits von Effekt und reinem Virtuosentum.
Im vom Tutti eröffneten ersten Satz Allegro maestoso ergänzen sich die beiden Soloinstrumente mal elegant, mal leicht kontrastierend. Auch Widerspruch ist möglich, aber in der ausgeschriebenen Kadenz treten beide beinahe wie nur ein einziges (zweistimmiges) Soloinstrument auf. Das Orchester begleitet die Violine mit den hohen Streichern und die leicht hochgestimmte Bratsche mit den tiefen. Doch das Werk trüge kaum das Wort »Symphonie« im Titel, wenn die Instrumentengruppen des Orchesters nicht auch untereinander in Dialog treten würden.
Das folgende Andante in c-Moll gilt als bedeutendster Teil. Auch das macht einen echten Dialog aus: Tiefes bleibt nicht unberührt. Mozart geling hier ein Zwiegespräch, das als zartes, nächtliches Opernliebesduett ohne Worte durchgehen könnte. (Genauer: Worte braucht es nicht, um die melodische Innigkeit zu erspüren.) Ob manches durch Corona-Schutzmaßnahmen getrennte Paar wohl auf diese Musik – übermittelt per Telefon und Ähnlichem – zurückgegriffen hat?
Das Prestofinale schließlich sorgt mit einem 2/4-Takt-Schwung für einen heiteren Abschluss. Simplifizierend ließe sich hier vom fröhlichen Licht am Ende des Tunnels sprechen. Doch wird man mit einer solchen Metaphorik selten den schmissigen letzten Sätzen in Symphonien und Konzerten gerecht. Die Virtuosität und die tänzerische Spielfreude sind mehr als Rondo-Rausschmeißer. Tutti und Solisten machen einander Vorschläge, übernehmen Ideen, ergänzen sich und überlassen sich dem gemeinsamen »flow«. Worum es inhaltlich geht, ist nachrangig, zentral ist das Gemeinsame: Auch die wissenschaftliche Linguistik betrachtet einen Dialog ja nicht nur als reinen Informationsaustausch; die einende Lagerfeuer-Atmosphäre von miteinander sprechenden Menschen ist – wie wir im Lockdown besonders deutlich spürten – genauso wichtig.
20.09.2020 - Saisoneröffnung #1
Sylvain Cambreling, Guy Braunstein, Maxim Rysanov
Werke von Beethoven und Mozart
20.09.2020 - Saisoneröffnung #2
Sylvain Cambreling, Guy Braunstein, Maxim Rysanov
Werke von Beethoven und Mozart