Daphnis et Chloé

Bei der sehr allmählichen, aber umso kraftvolleren Klangentstehung in der choreografischen Symphonie Daphnis et Chloé spielt der ungewohnt eingesetzte Chor eine spezielle Rolle. Als wolle Ravel seine Maxime, Musik ohne Bezüge zur Außenwelt schaffen zu wollen, hier ganz besonders herausstellen, lässt er den Chor ohne Worte singen – also nur mit sogenannten Vokalisen. Die menschliche Stimme gesellt sich auf diese Weise zu den Orchesterinstrumenten; der Chor ist in dieser neuen Funktion beispielsweise einer begleitenden Orgel gar nicht so fern.

Allerdings gibt es natürlich, wie schon der Titel anzeigt, eine literarische Grundlage dieses für Serge Diaghilews Truppe »Ballets Russes« entstandenen, knapp eine Stunde dauernden Balletts. Der spätgriechische Dichter Longos entwarf die Geschichte vom Schäfer Daphnis und der Nymphe Chloé. Beide genießen das Leben (1. Teil in Ravels Komposition), ehe die Piraten Chloé entführen. Hilfe kommt vom Gott Pan, der Naturkräfte auf die Piraten loslässt (2. Teil). Und schließlich präsentieren die wieder vereinten Daphnis und Chloé ein Schauspiel über die Liebe von Pan und Syrinx. (3. Teil)

Und dennoch: Man könnte meinen, Ravel nehme diese Basis nur als Anregung, seiner »Musik pur« nachzugehen. »Meine Absicht, als ich es schrieb, war, ein großes musikalisches Freskogemälde zu komponieren, weniger auf Archaik bedacht als auf Treue zu dem Griechenland meiner Träume«, sagte er selbst. »Das Werk ist symphonisch gebaut, nach einem sehr strengen tonalen Plan und mittels einer kleinen Anzahl von Motiven.« 1911 entstand zunächst eine Klavierfassung; ein Jahr später diese Version für (sehr) großes Orchester mit beeindruckend viel Schlagwerk.

Tatsächlich ist das Themenmaterial eher klein, und die bukolische Stimmung übersetzt Ravel in eine eher artifizielle Tonsprache. Dennoch ist der Höreindruck extrem neu. (Da ist der berühmte Sonnenaufgang zu Beginn des 3. Teils nur ein Beispiel von vielen.) Wie alles zu schweben und zu fließen scheint; wie einzelne Instrumentengruppen »malend« eingesetzt werden; wie aus einer Motivkeimzelle dank steter, variantenreicher Wiederholung große Klanggebilde entstehen; ja wie Klänge über unzählige Takte gleichsam werden und vergehen – das und mehr beeindruckt Hörer und Komponistenkollegen bis heute. Vielen gilt »Daphnis et Chloé« als Gipfel von Ravels Kunst.

Maurice Ravel
Maurice Ravel

Historie

22.09.2019 - Rundfenster: Ravel

Sylvain Cambreling, Roger Muraro, Europa Chor Akademie Görlitz, Joshard Daus