Die 1912 in Paris unter seiner Leitung uraufgeführten Valses nobles et sentimentales beginnen zwar mit einem Walzer, der ohne viel Entwicklungs-Zeit startet und samt schmetternden Beckenschlägen für einen schwungvollen Auftakt sorgt. Doch im folgenden Satz »Assez lent«, der in der Klavierpartitur die Anweisung »mit intensivem Ausdruck« erhielt, bekommen wir eine Ahnung vom Klangwerden und -vergehen. Walzerselig geht es weiter – an dritter Stelle mit einer Art Rokoko- und Romantikparodie. Und im vierten, »belebten« Satz wird deutlich, worin ein wesentlicher Teil von Ravels Kunst besteht: Er »würzt« die im 19. Jahrhundert sehr präsente Walzerform mit Dissonanzen und schafft so neue Klänge. »Der Titel [...] verdeutlicht hinreichend meine Absicht, eine Reihe von Walzern im Stile von Schubert zu komponieren«, meinte er damals. Im Stile von Schubert – aber mit den Mitteln Ravels, müsste man wohl präzisieren...
Zunächst entstand diese eine gute Viertelstunde lange Walzerreihe 1911 nur für Klavier. Die Uraufführung der ersten Version, bei der der Komponistenname verschwiegen wurde, war heftig umstritten. Doch in der Orchesterfassung fügen sich die Dissonanzen stimmiger zum Gesamtklang zusammen. (Überhaupt faszinierend, wie die Dissonanzen, die wir sonst als Ausbrüche zu hören gewohnt sind, bei Ravel immer ganz organisch zur musikalischen Basis gehören.)
Der fünfte Walzer ist »mit verinnerlichtem Sentiment« zu spielen und erinnert an einen traumverlorenen Ländler, während für den sechsten die Anweisung »sehr zart und ein wenig schmachtend« gilt. Nach einer Johann-Strauß-Hommage an siebter Stelle, die in Ravels Augen der »charakteristischste« Teil (und eine Vorahnung auf die nach dem Ersten Weltkrieg entstandene Walzerkatastrophe »La valse«) ist, folgt ein Epilog, in dem einzelne Elemente der vorigen Sätze erneut auftauchen. Zart-schwebend vergänglich ist das Ende.
22.09.2019 - Rundfenster: Ravel
Sylvain Cambreling, Roger Muraro, Europa Chor Akademie Görlitz, Joshard Daus