Von welcher Art die seelischen Qualen waren, die Peter I. Tschaikowsky zeitlebens umgetrieben haben, lässt sich beispielhaft an der Entstehungsgeschichte seiner Fünften ablesen. Nicht nur zu Beginn der Arbeit, sondern auch mittendrin und nach Abschluss zweifelte der 1840 geborene Landsmann Prokofjews an deren Gehalt. »Ist nicht die Zeit gekommen aufzuhören, habe ich nicht meine Empfindungskraft überspannt?«, fragte er sich. Nach langen Komponiertagen klagte er: »[...] jetzt bin ich so müde, dass ich nicht einmal fähig bin zu lesen.« Und noch als er die fünfte, 1888 uraufgeführte Symphonie, die vielen als seine ausdrucksstärkste gilt, dreimal selbst aufgeführt hatte, meinte er: »[nun] bin ich von ihrem Misserfolg überzeugt. Es ist etwas Abstoßendes darin, Flickwerk, Unaufrichtigkeit und Kunstkniffe.« Diese Urteile sind umso bemerkenswerter, je breiter der bis heute ungebrochene Siegeszug dieses Werkes wurde, nachdem der Dirigent Arthur Nikisch sie wiederentdeckt hatte.
Natürlich ist es, wie bei Tschaikowsky gewohnt, auch hier die sangliche Melodik, die den zahlreichen Themen besonderen Charakter verleiht. Aber auch die Rhythmik spielt eine Rolle – nicht zuletzt im Leitthema, das die gesamte Symphonie bestimmt. Die Klarinette stellt es gleich in der Andante-Einleitung des ersten Satzes vor: Leise hören wir die punktierten Viertel mit anschließender Doppel-Sechzehntel. Die Sekunde ist das vorherrschende Intervall dieser e-Moll-Figur, der Tonumfang ist nicht groß. Ein (nicht veröffentlichtes) Programmfragment, das er diesem ersten Satz zugrundelegte, ist hier musikalisch umschrieben: »Völlige Ergebung in das Schicksal.«
Das Andante hält einen wahrhaft süßen (dolce) Gesang bereit: Das vom Horn vorgetragene Thema im 12/8-Takt gehört wohl zum Eindrucksvollsten, was Tschaikowsky zum Thema Liebe und Sehnsucht musikalisch zu sagen hatte. Zwei abfallende Sehnsuchtssekunden und eine im Ganzen leicht aufsteigende Melodielinie machen die fünf Takte zum Symbol für russische Romantik schlechthin – in das dann plötzlich und geradezu mit Gewalt das Leitthema des Symphoniebeginns einbricht. Einzig der dritte Satz, ein langsamer Walzer samt hübschen Streicher-Pizzikato, wird mitunter als nicht ebenbürtig angesehen – nach dem starken zweiten Satz hat es dieser eben schwer zu bestehen. Im Finale ist die Moll-Düsternis dann strahlendem Glanz gewichen. Das Schicksal, in das sich der erste Satz noch ergab, ist offenbar überwunden: E-Dur statt e-Moll. Slawisches Temperament macht sich breit; geradezu heiter blicken wir auf bisherige Themen zurück. Ein echtes Finale.
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